Will Wien in den Krieg ziehen?
Verteidigungs- und Außenminister pfeifen auf Österreichs Neutralität
Das jüngste Treffen der EU-Verteidigungs- und Außenminister in Tallinn fand vor der Kulisse eines NATO-Truppenaufmarsches im Baltikum statt. Das russisch-belorussische Großmanöver »Sapad« bot das entsprechende Feindbild. Dies schien dem österreichischen Verteidigungsminister Hans-Peter Doskozil (SPÖ) der richtige Zeitpunkt und Ort, der Neutralität des Landes zu Leibe zu rücken. Er habe sich, so der gelernte Polizist, mit Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) abgesprochen und man sei zur Überzeugung gekommen, sich an der geplanten EU-Militärunion »auf jeden Fall zu beteiligen.«
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte bereits im Frühjahr 2017 die Mitgliedstaaten auf,gefordert, verstärkte Anstrengungen in Richtung einer Militärkooperation zu unternehmen. Deutschlands Verteidigungsministerin Ursula van der Leyen zeigte sich Anfang September in Estland mit den Fortschritten zufrieden und sprach von gelungen »Quantensprüngen« zur Schaffung einer EU-Armee. Und die beiden Minister aus Wien sagten die Teilnahme Österreichs zu.
Einen Ministerratsbeschluss darüber gibt es ebenso wenig wie parlamentarische Beratungen, geschweige denn eine Mehrheit dafür im Volk. Sämtliche Umfragen der vergangenen Jahre brachten zumindest Zweidrittelmehrheiten für die Beibehaltung der Neutralität und gegen eine Mitgliedschaft in einem Militärbündnis. Doskozil und Kurz agierten ohne jedes Mandat. »Bei einer Kooperation geht es darum, dass jeder seine besonderen militärischen Fähigkeiten einbringt, wie wir zum Beispiel mit den Gebirgsjägern«, fachsimpelte der Verteidigungsminister. Die Neutralität sei, so Doskozil sinnfrei weiter, davon weder betroffen noch hinderlich. Neutral ins Militärbündnis und in den Krieg, lautet offensichtlich seine Devise.
Schon im Januar 2013 machte sich die Sozialdemokratie - damals noch auf indirekte Weise - für eine Aufgabe der Neutralität und einen späteren Beitritt zu einem westlichen Militärbündnis stark. Per Volksbefragung wollte sie die Aufhebung der Wehrpflicht durchsetzen und warb für ein Berufsheer. Ein solches könnte dann bei Bedarf leicht in internationale militärische Strukturen eingebettet werden. Damals sprach sich die ÖVP, die lange Jahre als Befürworterin eines NATO-Beitritts galt, überraschend gegen die Abschaffung der Wehrpflicht aus, gerade weil diese der Garant für die Neutralität sei.
Fast 60 Prozent votierten für die Beibehaltung der Wehrpflicht. Das Thema schien erledigt. Die ÖVP-Hoffnung Außenminister Sebastian Kurz vollzieht nun neuerlich eine Kehrtwende in Richtung Militärbündnis. Zwar soll es nicht die NATO sein, der Österreich beitritt, sondern eine Brüsseler Militärunion; mit der Neutralität ist freilich auch das nicht vereinbar.
Kurz und Doskozil gebärden sich schon seit Monaten als kongeniale Partner, dem gerade voll anlaufenden Intensivwahlkampf für die Nationalratswahl Mitte Oktober zum Trotz. Während Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) an Kurz kein gutes Haar lässt, zeigt sich sein Parteifreund Doskozil auch in Fragen der Migrationsbekämpfung gerne Seite an Seite mit dem ÖVP-Mann. Gemeinsam fordern sie seit Monaten gebetsmühlenartig den Aufbau von Flüchtlingslagern in Afrika. Beide können sich auch, anders als der noch regierende SPÖ-Kanzler, eine Regierungszusammenarbeit mit der rechten FPÖ vorstellen.
Nicht ausgeschlossen ist, dass nach einem Wahlsieg von Sebastian Kurz, der allen Vorhersagen nach nicht mehr zu verhindern sein dürfte, Doskozil zum neuen starken Mann in der SPÖ wird. Als Juniorpartner könnte er in einer ÖVP-SPÖ-Regierung den Vizekanzler machen. Das Versprechen an van der Leyen und Juncker, Österreich in den EU-europäischen Militärpakt zu führen, wäre dann fast ohne parlamentarische Gegenstimmen einlösbar - und die Neutralität entsorgt.
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