Allein gelassen
Auf besondere Rücksicht oder ein Entgegenkommen können getrennt erziehende Mütter oder Väter nicht hoffen. Im Wahlkampf spielen sie nur eine marginale Rolle
Das Problem fängt schon bei der Sprache an. »Alleinerziehende« nennen sich die Verbände der (ganz überwiegend weiblichen) Betroffenen, von »Getrennt Erziehenden« sprechen dagegen Väterrechtsorganisationen. Letztere wollen darauf aufmerksam machen, dass auch Männer, die nicht mehr mit ihren Kindern zusammenleben, weiter Verantwortung übernehmen. Mit »Fragile families«, zerbrechlichen Familien, haben amerikanische Sozialforscher versucht, einen passenderen Begriff zu finden. Doch das Wort »allein« trifft oft durchaus zu: Viele Frauen werden von ihren Ex-Partnern tatsächlich allein gelassen, nicht nur räumlich, auch finanziell. Nur die Hälfte der Scheidungsväter zahlt überhaupt Unterhalt, lediglich 25 Prozent von ihnen überweisen regelmäßig den gesetzlich vorgeschriebenen Betrag. In den anderen Fällen springt der Staat mit dem (gerade bis zum 18. Lebensjahr ausgeweiteten) Unterhaltsvorschuss ein. Dass aus diesem häufig eine dauerhafte Zahlung wird, liegt entgegen gängiger Vorurteile nicht nur an unwilligen Männern, die sich mit Tricks arm rechnen. Vielen fehlt schlicht das Geld; mit einer Trennung wächst für beide Elternteile das Armutsrisiko. Im Alltag alleine zurechtkommen müssen allerdings zu 90 Prozent Frauen.
Die staatliche Politik zielte bisher stets auf die »intakte« Familie: Vater, Mutter, Kind. Das zeigt sich gerade jetzt im Wahlkampf. So stehen in den Programmen von CDU und CSU fast nur Vorschläge, welche die Mittelschicht alimentieren: mehr Kindergeld, Unterstützung beim Erwerb einer Immobilie, höhere Steuerfreibeträge. Die meisten Alleinerziehenden haben von dieser Art der Förderung nichts. 42 Prozent von ihnen sind nach EU-Kriterien bedürftig, verfügen über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens. Darunter sind viele, die auf Hartz IV angewiesen sind, andere Leistungen wie das Kindergeld werden dort angerechnet, und vom Kauf einer eigenen Wohnung können sie nur träumen.
Kinder, die mit einem Elternteil aufwachsen, sind doppelt so häufig arm wie Kinder, die mit Vater und Mutter zusammenleben. Bei Alleinerziehenden mit mehr als einem Kind steigt die Wahrscheinlichkeit der Bedürftigkeit um weitere 50 Prozent, ergab der letzte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Mehr als eine Millionen Trennungskinder leben danach von Hartz IV. Den LINKEN wie auch den Grünen ist der Kampf gegen Kinderarmut deshalb ein besonderes Anliegen. Beide Parteien verlangen höhere Regelsätze und eine Kindergrundsicherung. Die Linkspartei kritisiert die Vernachlässigung getrennt erziehender Eltern. »Die Anerkennung aller Familienformen und Lebensentwürfe ist für uns leitendes Prinzip«, heißt es im Wahlprogramm. »Überkommene Privilegien der Ehe« sollen abgeschafft, die steuerlichen Kinderfreibeträge durch ein einheitliches Kindergeld ersetzt werden, das auch Hartz-IV-Betroffene erhalten sollen. Es sei nicht gerecht, dass Gutverdiener »über dieses System höhere Entlastungen haben als Geringverdiener«, sagt die Parteivorsitzende Katja Kipping.
Auffällige Leerstellen in den Parteiprogrammen sind das Ehegattensplitting und die kostenlose Mitversicherung von Frauen in der Krankenkasse ihres Mannes. Nur die LINKE fordert dezidiert die Abschaffung des Splittings. Finden sich bei SPD und Grünen zumindest schwammige Absichtserklärungen, wie in fast allen Nachbarländern eine Individualbesteuerung einzuführen, schweigen sich Christ- und Freidemokraten über dieses Thema komplett aus. Und selbst Sozialdemokraten und Grüne wollen den Splittingvorteil für bestehende Ehen weiter garantieren, also bestenfalls eine schrittweise Veränderung herbeiführen.
Das Versicherungsprivileg von verheirateten Hausfrauen und Minijobberinnen wird nirgends erwähnt. Selbst die sehr unwahrscheinliche Koalitionsoption Rot-Rot-Grün sieht hier offenbar wenig Handlungsbedarf. Dabei gibt es keinen triftigen Grund, warum Ehefrauen (im Gegensatz zu Alleinerziehenden) der Krankenkassenbeitrag erlassen werden sollte; das chronisch unterfinanzierte deutsche Gesundheitssystem könnte diese Finanzspritze zudem gut gebrauchen.
Die in der Adenauer-Zeit entwickelten Instrumente eines patriarchalen Sozialstaats legen Müttern weiterhin traditionelle Rollen nahe. Monetäre Unterstützung für »vollständige« Mittelschichtsfamilien hat ungebrochen Priorität vor dem Ausbau der öffentlichen Infrastruktur. Kitaplätze sind immer noch nicht überall kostenlos - eine Beitragsfreiheit fordern aktuell im Wahlkampf SPD und Linkspartei -, die Versorgung für unter Dreijährige bleibt trotz eines Rechtsanspruchs hinter den Planungen zurück. Von einer verlässlichen Ganztagsbetreuung in Kindergarten und Schule kann vor allem im ländlichen Raum der westlichen Bundesländer kaum die Rede sein. Auch solche Rahmenbedingungen, die einen Vollzeitjob nahezu unmöglich machen, tragen zu den hohen Armutsquoten der getrennt Erziehenden bei.
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