Das Vorspiel für den Roten Oktober

Der Kornilow-Putsch gegen die russische Revolution

  • Stefan Bollinger
  • Lesedauer: 5 Min.

Das Vorspiel zum Bolschewismus«, titelte der Ex-Ministerpräsident der Provisorischen Regierung, Alexander Kerenski, seine Verteidigungsschrift über seine Rolle in den Ereignissen, die das endgültige Ende der Februarrevolution einläuten sollten. »Kornilows Abenteuer, dazu prädestiniert, zu scheitern«, so der Sozialrevolutionär und Jurist, habe »eine fatale Rolle für Russlands Schicksal« gespielt: »Das Abenteuer einer kleinen Gruppe wurde in der entflammten Vorstellung der Massen zu einer Verschwörung des ganzen Bürgertums und der Oberschicht gegen die Demokratie und die arbeitenden Massen.« Die Bolschewiki, die bislang »machtlos waren, gewannen die Vormacht im Petrograder Sowjet der Arbeiter- und Soldatenräte«.

Im Juli 1917 hatte Kerenski mit Hilfe loyaler Truppen einen spontanen Aufstandsversuch Petrograder Arbeiter und der hauptstädtischen Garnison der Hauptstadt gegen die Fortsetzung des Krieges und die Dominanz bürgerlicher Politiker in der Koalitionsregierung niedergeschlagen (s. »nd« v. 22./23.7.) Die Bolschewiki waren damals uneins, bemühten sich, die Erhebung zu kanalisieren, wohl wissend, dass die alten Kräfte noch zu mächtig sind. Kerenski präsentierte sich als neuer starker Mann, der im Lande für Ruhe und Ordnung sorgen würde. Er ließ die bolschewistische Presse verbieten und Bolschewiki einsperren. Lenin musste untertauchen. Damit war die Doppelherrschaft, Provisorische Regierung versus Sowjets, beendet.

Die Bolschewiki leisteten jedoch weiterhin unverzagt Überzeugungsarbeit unter den werktätigen Massen. Zugleich bemühten sie sich um verstärkten Einfluss in den Sowjets. Da der Krieg weitergeführt wurde und die sozialen Fragen ungelöst blieben, fiel ihre Agitation auf fruchtbaren Boden. Fabriken wurden bestreikt, vor allem auch in der Rüstungsproduktion. In Kasan explodierte eine Munitionsfabrik. Die fatale Lage an den Fronten, insbesondere der Fall von Riga - viele meinten, die Stadt sei preisgegeben worden - drückten auf die Stimmung.

Ende August tagte in Moskau der Staatsrat, eine auf Initiative der Provisorischen Regierung einberufene Versammlung von Würdenträgern und Politikern. In dieser Situation sah die Bourgeoisie in General Lawr Kornilow, Oberbefehlshaber der russischen Armee, den »Retter Russlands«. Dadurch ermutigt, forderte der Militär am 9. September 1917 vom Staatsrat, bis zum Zusammentritt einer neugewählten Konstituante ihm die uneingeschränkte Macht zu übertragen. Den Sowjets sollte keinerlei Mitspracherecht mehr zukommen. Des Weiteren verlangte er eine Vertagung der offenen sozialen und nationalen Fragen sowie Konzentration auf die siegreiche Beendigung des Krieges und als eine Voraussetzung hierfür Wiederherstellung der Disziplin in der Armee, was vor allem auf die Auflösung der Soldatenräte zielte. De facto strebte Kornilow nach einer Militärdiktatur.

Bei seinem Putschversuch setzte der General bezeichnenderweise auf kaukasische Kavallerieeinheiten, so auf die muslimische »Wilde Division«, denen er am ehesten Rücksichtslosigkeit und fehlende Sympathien für die Revolutionäre zutraute. Zudem sprachen deren Angehörige kaum russisch, was eine »Infiltration« durch Revolutionäre erschwerte. Neben den erhofften loyalen Militäreinheiten baute Kornilow auf vorgeblich 2000 bewaffnete und kampfbereite bürgerliche Kräfte in Petrograd. Pathetisch wandte sich der Oberkommandierende an die Öffentlichkeit: »Russisches Volk! Unser großes Vaterland liegt im Sterben ... Ich, General Kornilow, erkläre, dass die Provisorische Regierung unter dem Druck der bolschewistischen Mehrheit in den Sowjets in vollkommener Übereinstimmung mit den Plänen des deutschen Generalstabes handelt ... Die Vorahnung des unabwendbaren Untergangs des Vaterlandes befiehlt meinem Gewissen, in diesen verhängnisvollen Augenblicken, alle Russen aufzurufen, dem sterbenden Vaterland zu Hilfe zu kommen. Alle Menschen, in deren Brust ein russisches Herz schlägt, die an Gott glauben und an die Kirche, sollen den Herrn um das größte Wunder anflehen: Unsere Heimat zu retten.«

So recht wollte diesem Aufruf aber keiner folgen. Kornilow überschätzte sich und unterschätzte die revolutionäre Unruhe. Kerenski zeigte mehr Realismus. Er versuchte, zunächst mit dem abtrünnigen General zu verhandeln. Vergebens. Schließlich enthob er ihn des Oberbefehls über die Armee. Linke Agitatoren mobilisierten landesweit den Widerstand. Rote Garden der Bolschewiki standen bereit, die Revolution zu verteidigen. Der aus der Haft entflohene Leo Trotzki avancierte zu einem der führenden Köpfe der Abwehr des Militärputsches. Die Menschewiki schlugen vor, ein Militärrevolutionäres Komitee zu bilden, das in der chaotischen Situation das Kommando erhalten sollte. Nikolai Suchanow, ein Chronist des Jahres 1917, konstatierte: »Obwohl die Bolschewiki im Komitee in der Minderheit waren, war völlig klar, dass sie es unumschränkt beherrschten.« Nur sie wiesen die entsprechende Konsequenz auf. Und sie würden, so der Menschewik, auch über »die realen Mittel für revolutionäre Handlungen« verfügen - »nämlich ihre Beherrschung der Massen«.

Selbst die »Wilde Division« ließ sich überzeugen, in ihre Bereitstellungsräume zurückzumarschieren. Die überwiegende Mehrheit der russischen Armee wollte mit den Ränkespielen der Generäle nichts mehr zu tun haben. So scheiterte Kornilows Putschversuch kläglich - und stärkte stattdessen die Bolschewiki. Sie gewannen als radikalste Verteidiger und Antreiber der Revolution erheblich an Einfluss. Daran änderte auch nicht die erneute Umbildung der Provisorischen Regierung und endlich, seit der Abdankung des Zaren versprochene Ausrufung der Republik.

Lenin konnte zufrieden sein, die Massen hatten gelernt: »Der Aufstand Kornilows hat für Russland das bewiesen, was die Geschichte in allen Ländern bewiesen hat, nämlich, dass die Bourgeoisie das Vaterland verrät und zu jedem Verbrechen bereit ist, nur um ihre Herrschaft über das Volk aufrechtzuerhalten und ihre Profite zu schützen.«

Vom Autor erschienen jüngst »Oktoberrevolution. Aufstand gegen den Krieg 1917-1922« (Edition Ost, 14,99 €).

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