Skrupellose Mörder
Gaulands Soldaten
Die 2013 gegründete Initiative «Gedenkort für die Opfer der NS-›Lebensraum‹-Politik will »den vergessenen Opfern des deutschen Vernichtungskrieges im Osten eine Stimme und ein Gesicht« geben. Sie organisierte eine Vortragsreihe mit renommierten Historikern, deren Beiträge jetzt in einem Sammelband nachzulesen sind. Eine wichtige und verdienstvolle Edition in einer Zeit, in der führende AfD-Politiker wie jüngst Alexander Gauland davon schwadronieren, »stolz zu sein auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen«. Man dürfe, so Gauland Anfang September bei seiner Rede auf dem »Kyffhäuser-Treffen« der AfD in Thüringen, dem deutschen Volk die NS-Zeit nicht mehr vorhalten, sie betreffe »unsere Identität heute nicht mehr«. Das ist geschichtsvergessen, denn ohne diese zwölf Jahre funktioniert historische Erinnerung und Identität nicht.
Die NS-Ideologie vom »slawischen Untermenschen« hatte die Mehrheit der deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg tief verinnerlicht. So hieß es im Feldpostbrief eines Wehrmachtsangehörigen: »Charakter und Wesen der Russen gehören noch viel mehr ins Mittelalter als in die Neuzeit.« Herrenmenschenfantasien ließen Wehrmachtssoldaten regungslos zusehen, wie Frauen und Kinder verhungerten, und ließ sie mittun an der Gettoisierung, Erschießung oder Deportation von Juden.
Ulrich Herbert enthüllt, was der deutsche Krieg um »Lebensraum im Osten« bedeutete. Wolfgang Wippermann setzt sich mit dem völkischen Begriff der Nation auseinander. Die Parallelen auch zu heute sind erschreckend. Andere Historiker erinnern an die gnadenlose deutsche Okkupationspolitik in Serbien oder vergleichen die Behandlung westlicher und östlicher Kriegsgefangener in den besetzten Gebieten. Es war ein General der Wehrmacht, Gerd von Rundstedt, der verkündete, dass der Vorteil russischer Gefangenen sei, dass man sie einfach erschießen könne, wenn sie »nicht parieren«.
Axel Schildt analysiert den Antikommunismus der Nazis, der in der BRD fortlebte. CDU- oder FDP-Plakate vermittelten das Bild vom »bösen Russen« wie zuvor in der NS-Zeit. Schildt erinnert an die Elogen in der Ära von Bundeskanzler Adenauer auf die in der Schlacht um Stalingrad »heroisch« gefallen deutschen Soldaten. Die Hungerblockade gegen Leningrad hingegen, der eine Millionen Menschen zum Opfer fielen, sei kein Thema gewesen. Dies habe sich bis heute kaum geändert. Erst nach der deutschen Vereinigung gab es erste zaghafte Versuche, auch an die Verbrechen im Osten zu erinnern. Ein Durchbruch gelang 1995 mit der heftig angefeindeten Wehrmachtsausstellung. Der Band beschäftigt sich leider nur mit der Erinnerungskultur in der Bundesrepublik; ein Vergleich mit der DDR wäre sicher aufschlussreich gewesen.
Peter Jahn/ Florian Wieler/ Daniel Ziemer (Hg.): Der deutsche Krieg um »Lebensraum im Osten« 1939 - 1945. Metropol. 195 S., geb., 19 €.
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