ThyssenKrupp soll im Pott bleiben

Beschäftigte sehen durch Fusion mit Tata Steel Mitbestimmungsrechte in Gefahr

  • Sebastian Weiermann, Bochum
  • Lesedauer: 4 Min.

Der große Aufstand der Stahlarbeiter ist am Freitag in Bochum ausgeblieben. 7000 Menschen sind nach Angaben der IG Metall und der Polizei gekommen. Vom Werk im Stadtteil Höntrop ziehen sie zum Westpark - einem Park, der auf dem ehemaligen Gelände eines Stahlwerks von Krupp entstanden ist. 1987 gab es das Werk noch, sagt eine ältere Frau, die mit IG-Metall-Mütze am Rand der Kundgebung steht. In jenem Jahr gab es im ganzen Ruhrgebiet Proteste, als ein Stahlwerk in Duisburg-Rheinhausen geschlossen wurde. »Damals stand der ganze Ruhrpott still«, erzählt die Frau.

Auch diesmal geht es »ums Ganze«, wenn man dem Betriebsratsvorsitzenden Willi Segerath glaubt. Es gehe um den ganzen Konzern, nicht nur um den Bereich Stahl. Der Vorstand um Heinrich Hiesinger baue die Mitbestimmung Stück für Stück ab, dem werde man sich entgegenstellen. Wenn Segerath ruft, »wir denken weiter als bis zum nächsten Quartalsergebnis« oder »wir lassen uns nicht von Hochglanzkampagnen und Werbefilmen beeindrucken«, dann jubelt die Menge und ruft »Willi, Willi, Willi«.

Der Betriebsratsvorsitzende der Stahlsparte, Günter Back, schlägt in dieselbe Kerbe. Es habe nichts mehr mit Mitbestimmung zu tun, wenn irgendwelche Werbefilmer vor dem Betriebsrat von den Fusionsplänen wüssten. »Ich fühle mich um meine Mitbestimmung betrogen«, sagt Back und erntet dafür Jubel. Das Ziel der Fusion sei es, sich um die Zahlung von Steuern und Pensionen zu drücken. Die Frage nach den Betriebsrenten ist in der Auseinandersetzung um die Fusion nicht unwesentlich. 63 000 Menschen sind davon direkt betroffen. Sie fürchten, der neue Konzern würde sich nicht an die Vereinbarungen halten.

Auch die Politik hat sich in die Auseinandersetzung eingemischt. Sören Link, der SPD-Oberbürgermeister von Duisburg, eilte am Mittwoch vor den örtlichen Sitz des Großkonzerns und solidarisierte sich mit den protestierenden Mitarbeitern. Er selbst sei Sohn eines Stahlarbeiters und wisse, dass Stahl zu Duisburg gehöre. In ihrem Kampf um die Arbeitsplätze will der Sozialdemokrat, der am Sonntag wiedergewählt werden möchte, die Mitarbeiter des Konzerns unterstützen.

»Wir sind zum Kämpfen gekommen«, rief selbst Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) bei der Kundgebung ins Mikrofon. Sie forderte vom Konzern die Vorlage von »Zahlen und keine Geheimniskrämerei«, man müsse von betriebsbedingten Kündigungen absehen. »Wenn die glauben, die kommen damit durch, sagen wir nein«, beendete Nahles ihre Rede.

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) und sein Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) setzen hingegen andere Akzente. Für beide geht es um die Zukunftsfähigkeit des Konzerns ThyssenKrupp. Laschet betonte, dass eine zukunftsfähige Stahlproduktion in Nordrhein-Westfalen viele Arbeitsplätze und die »Wettbewerbsfähigkeit unseres Standortes« sichere. Die Landesregierung will den Prozess der Fusion der Stahlsparten von ThyssenKrupp und Tata eng begleiten. Die Grünen fordern indes Transparenz und, »dass der Aufsichtsrat nicht mit dem doppelten Stimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden Prof. Dr. Ulrich Lehner die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat überstimmt«. Christian Leye, Landesprecher der LINKEN in Nordrhein-Westfalen, hat da einen weitergehenden Vorschlag. Eine Indus-triestiftung NRW solle gegründet werden, in die der Konzern aufgeht und die eine Unternehmensstrategie verfolgt, die an den Interessen der Angestellten ausgerichtet wird. »Dafür gibt es praktische Beispiele. Ein solches Modell hat - auf Initiative des damaligen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine - etwa die saarländische Stahlindustrie gerettet«, erinnert Leye.

Für Besonders viel Aufregung sorgte bei der Kundgebung in Bochum, dass der Firmensitz im Rahmen der Fusion vermutlich aus Steuergründen in die Niederlande verlegt werden soll. Dort müssten Mitbestimmungsrechte völlig neu verhandelt werden, weshalb die Belegschaft ihre Kontrollrechte in Gefahr sieht. Sitz müsse Deutschland bleiben, es dürfe keinen »Ausverkauf bei der Mitbestimmung« geben, forderte auch Nahles.

Noch wichtiger dürfte allerdings die Auseinandersetzung um Garantien für die Angestellten sein. Nach den aktuellen Plänen soll die Produktion bei ThyssenKrupp und Tata ab 2020 verschmelzen. Das könnte einen weiteren massiven Stellenabbau zur Folge haben. Daher forderten die Arbeiter in Bochum Zusicherungen für ihre Arbeitsplätze bis »weit in das nächste Jahrzehnt«. Wie verhandlungsbereit die Konzernleitung ist, wird dabei sicherlich auch davon abhängen, wie die Bereitschaft der Arbeiter zu Streiks ist. Vor der Großdemonstration hatten die Beschäftigten mit Beginn der Frühschicht schon mal die Anlagen heruntergefahren.

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