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Noch uneingelöstes Versprechen

Chinas »Neue Seidenstraße« zeigt die Risiken einer Handelspolitik, die bilaterale über multilaterale Ansätze stellt

  • Gregor Grossman
  • Lesedauer: 9 Min.

Westliche Theorien zum Verhältnis zwischen Frieden und Stabilität können zu den Fragen, die Chinas Projekt für eine neue Seidenstraße aufwirft, unterschiedliche Perspektiven aufzeigen. In der liberalen Tradition ist die Ansicht verbreitet, dass engere Handelsbeziehungen die Wahrscheinlichkeit kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen zwei Staaten reduzieren, da die Kosten solcher Konflikte für beide Seiten steigen.

Vor allem neomarxistische Kritiker weisen hingegen darauf hin, dass Handel nicht immer allen Beteiligten gleichermaßen zugute kommt. Aus den daraus entstehenden Spannungen ergibt sich wiederum ein Konfliktpotenzial, welches in bewaffnete Auseinandersetzungen münden kann. Seit einigen Jahren versuchen Studien, quantitative Antworten auf die Frage der friedensstiftenden Wirkung von Handel zu finden, bisher jedoch ohne eindeutige Ergebnisse.

Chinas neue Seidenstraße basiert auf einer Logik, die der liberalen Friedenstheorie ähnelt. Bei der Initiative handelt es sich um ein weitreichendes Projekt, welches den Anschein erweckt, die gesamte chinesische Außenpolitik neu auszurichten. Dabei gehört der Ausbau, aber auch die Neuausrichtung des Handels zwischen den teilnehmenden Ländern zu den Hauptzielen der neuen Seidenstraße.

Die einflussreiche Nationale Entwicklungs- und Reformkommission, Nachfolgerin der Mao-zeitlichen Staatlichen Planungskommission, erläutert in ihrem Grundsatztext zur neuen Seidenstraße folgende Vision: »Der beschleunigte Ausbau des Gürtels und der Straße kann den wirtschaftlichen Wohlstand der Länder entlang des Gürtels und der Straße sowie die regionale Wirtschaftszusammenarbeit fördern, den Austausch und das gegenseitige Lernen zwischen Zivilisationen stärken und Frieden und Entwicklung auf der Welt voranbringen.«

Gibt es also Grund zum Optimismus, dass die neue Seidenstraße den Weg zu Frieden und Stabilität unter und in den beteiligten Staaten ebnet? Ein Blick auf die bisherige Bilanz lässt Zweifel aufkommen.

Im Rahmen der neuen Seidenstraße wird der Handel nicht nur ausgeweitet, sondern auch gemäß chinesischen Interessen umgestaltet. So verfolgt China etwa beim Ausbau des China-Pakistan-Wirtschaftskorridors, einem Teilprojekt der neuen Seidenstraße, gleich mehrere Ziele. Vor allem soll China für seinen Warenhandel weniger abhängig von der Straße von Malakka werden. Daher sollen Güter, die über den Indischen Ozean kommen, ab Gwadar auf der Landroute durch Pakistan nach China transportiert werden.

Auch für Chinas interne Entwicklung soll das Vorhaben Vorteile bringen, indem es der westchinesischen Region Xinjiang neue Wachstumsperspektiven eröffnet und einen Beitrag zur Beilegung der dortigen ethnischen Konflikte leistet. Während das Projekt also chinesische Interessen voranbringt, führt es gleichzeitig zu Spannungen mit Indien, dem strategischen Rivalen Pakistans. Der Wirtschaftskorridor führt durch umstrittene Gebiete und nährt gleichzeitig Ängste, Chinas Engagement könnte das militärische Gleichgewicht zwischen Pakistan und Indien gefährden.

Auch in Zentralasien hat die neue Seidenstraße geopolitische Auswirkungen, da sie in der Region eine Machtverschiebung von Russland zu China vorantreibt. Gasleitungen und Transportwege, welche seit Sowjetzeiten eine Nord-Süd-Orientierung haben, führen zunehmend gen Osten. In einer von Rohstoffreichtum geprägten Region hat die China National Petroleum Corporation die russische Gazprom als wichtigsten Akteur in der Energiebranche abgelöst. Zusätzlich versucht China in Zentralasien für den Handel mit Europa Alternativen zur Seefracht zu entwickeln. Neue und ausgebaute Eisenbahnverbindungen sollen den Güterhandel auf der Landroute zwischen China und Europa wirtschaftlich machen. Viele Länder entlang der Route bleiben China gegenüber jedoch misstrauisch. Steve Tsang, Leiter des Chinainstituts an der School of Oriental and African Studies in London, findet es »bezeichnend, dass mehrere der Länder sich damit schwer tun, ihre Bahnverbindungen auf Normalspur umzubauen, was eine Voraussetzungen wäre, um schnelle und effiziente Zugverbindungen zwischen China und Europa zu ermöglichen. Warum zögern sie oder weigern sich, wenn sie Vertrauen in China haben?«

Der Handel mit China ist für viele Staaten ein zweischneidiges Schwert. In den vergangenen Jahren hat sich Chinas Anteil am Export vieler rohstoffreicher Länder erheblich vergrößert. In Zeiten großer Nachfrage konnten so Länder wie die Mongolei oder Angola von hohen Wachstumsraten profitieren. Unter diesen Umständen schien es auch sinnvoll, Kredite für chinesische Infrastrukturprojekte aufzunehmen.

In den letzten Jahren haben sich diese Bedingungen jedoch geändert. Das Wachstum in China hat sich nicht nur verlangsamt, sondern es basiert auch weniger auf Investitionen bzw. ist weniger rohstoffintensiv geworden. Dementsprechend kämpfen viele dieser Länder heute mit niedrigerem Wachstum und mit chinesischen Krediten, die nicht mehr so leicht zu bedienen sind.

In Bezug auf die Regierungsführung in den Ländern entlang der neuen Seidenstraße scheint das Projekt ebenfalls eine ambivalente Wirkung zu haben. So hat es Berichte von reger Korruption im Zusammenhang mit der chinesischen Initiative gegeben. Letztes Jahr musste der kirgisische Präsident als Reaktion auf einen Korruptionsskandal zurücktreten, in den eine chinesische Firma involviert war.

In der Tat untergräbt Korruption nicht nur die politische und soziale Stabilität, sondern kann auch negative Auswirkungen auf die effektive Nutzung neuer Infrastruktur haben. Alexander Cooley stellte zuletzt fest, dass sich der Zeitbedarf für die Ein- und Ausfuhr von Gütern in der Region Zentralasien trotz milliardenschwerer Investitionen zwischen 2006 und 2014 kaum verkürzt hat. Grund sei in vielen Fällen der Missbrauch von Infrastruktur durch lokale Eliten, etwa indem sie Schmiergelder für deren Nutzung verlangen.

In Myanmar hat ein politischer Wandel zu einem anderen Umgang mit chinesischen Investitionen geführt. Dort versucht China seit Jahren den Bau der 3,6 Milliarden US-Dollar teuren Myitsone-Talsperre voranzutreiben. Das Bauwerk sollte im Oberlauf des Irawadi gebaut werden und ein Gebiet überfluten, welches als die Wiege der burmesischen Kultur gilt. Was die Talsperre in der burmesischen Bevölkerung zusätzlich unbeliebt machte, war die Tatsache, dass nach einer Vereinbarung zwischen China und der ehemaligen Militärregierung bis zu 90 Prozent des erzeugten Stroms nach China fließen sollten. Als in Myanmar im Jahre 2011 eine Zivilregierung an die Macht kam, stieg diese vorerst aus dem Projekt aus.

Zwar steht das Projekt heute wieder auf der Tagesordnung, doch haben sich die Bedingungen grundsätzlich verändert. Myanmar unternahm erste Schritte, um seine Umweltgesetzgebung zu stärken, öffentliche Diskurse spielen in dem Land nun eine größere Rolle, und die demokratische Regierung ist der Bevölkerung stärker verpflichtet als die frühere. Es deutet einiges darauf hin, dass das Land heute besser in der Lage ist, chinesische Investitionen in nachhaltigere Bahnen zu lenken.

Parallel zum wirtschaftlichen Programm der neuen Seidenstraße findet eine schleichende Militarisierung statt. Handelswege, die China mit den Ländern der neuen Seidenstraße verbinden, sollen geschützt werden. Gleichzeitig sucht China bzw. suchen chinesische Firmen Investitionsmöglichkeiten in Regionen, die besonders risikoreich sind. Daher wundert es kaum, dass China zunehmend Maßnahmen ergreift, um seine Interessen zu sichern.

Historisch betrachtet war die Volksrepublik China Verfechter des Prinzips der Nichteinmischung in Angelegenheiten anderer Länder. In den letzten Jahrzehnten hat China jedoch seine militärische Präsenz im Ausland ausgeweitet. Dies lässt sich zum einen an der Beteiligung des Landes an UN-Friedensmissionen ablesen.

Begann China in den 1990er Jahren zunächst, solche Missionen finanziell zu unterstützen, stellte es später auch Truppenkontingente zur Verfügung. Heute zählt China zu den Ländern, die am meisten Truppen für Friedensmissionen bereitstellen. Außerdem hat es in den Südsudan erstmalig Kampftruppen für einen solchen Einsatz entsandt.

Am Beispiel des Südsudan lassen sich auch die Verflechtungen zwischen den wirtschaftlichen und den militärischen Dimensionen des chinesischen Engagements erkennen: In dem Land tätigte China einige seiner wichtigsten Investitionen im afrikanischen Energiesektor.

Um die Projekte der neuen Seidenstraße zu sichern, setzt China entlang der gesamten Seidenstraße sicherheitspolitische Maßnahmen ein. In Tadschikistan ist China am Bau von Grenzposten an der Grenze zu Afghanistan beteiligt. Ein Anschlag auf die chinesische Botschaft in Bischkek (Kirgistan) hat auch dort zu einer Intensivierung der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit geführt. In Pakistan, wo die Seidenstraße durch die von Gewalt und Unruhen geprägte Provinz Belutschistan führt, versucht die Regierung mit Tausenden von Soldaten, das Projekt zu sichern. Und Steve Tsang weist darauf hin, dass »Chinas Militär bereit dazu ist, in Afghanistan sein Engagement zu erhöhen, wenn die US-NATO-Präsenz unter ein Niveau fällt, bei dem chinesische Investitionen und chinesisches Personal nicht mehr effektiv geschützt werden können«.

Die Sicherung von maritimen Handelswegen hat ebenfalls oberste Priorität für die chinesische Regierung. Seit 2008 beteiligt sich das Land an der internationalen Mission zur Bekämpfung von Piratenbooten im Golf von Aden und lässt vermehrt Schiffe im Indischen Ozean patrouillieren. Am bedeutendsten ist jedoch, dass im Frühjahr 2017 in Dschibuti mit dem Bau des ersten chinesischen Marinehafens außerhalb Chinas (und dem südchinesischen Meer) begonnen wurde. Das wurde in Indien mit Sorge zur Kenntnis genommen. Dort spekulieren Beobachter seit Jahren über eine mögliche »Perlenkette« chinesischer Militärhäfen an den Küsten des Indischen Ozeans.

Es gilt als wahrscheinlich, dass China sich in den kommenden Jahren auf den Aufbau so genannter Dual-use-Häfen im Ausland konzentrieren wird, die die kommerzielle wie militärische Nutzung erlauben, und nur begrenzt reine Militärbasen aufbauen wird. Gerade dieser Ansatz macht jedoch die enge Verzahnung von Wirtschafts- und Sicherheitspolitik deutlich. So war etwa eine der größten chinesischen Reedereien an der Versorgung von Kriegsschiffen im Golf von Aden beteiligt.

Dass China überhaupt die Kapazitäten hat, diese Operationen durchzuführen, hängt mit einer langfristigen Modernisierung der chinesischen Streitkräfte zusammen. Dabei werden die ehemals auf die reine Landesverteidigung ausgelegten Streitkräfte zu einer Truppe mit der Fähigkeit zur Machtprojektion nach außen umgebaut. Am meisten hat davon die chinesische Marine profitiert, die inzwischen 300 Schiffe umfasst und eine Schlüsselrolle bei der Kontrolle des Südchinesischen Meeres und der Sicherung von Handelswegen spielt. Zur Zeit wird der erste Flugzeugträger aus chinesischer Eigenproduktion auf Einsätze ab dem Jahr 2020 vorbereitet.

Am internationalen Waffenhandel ist China zunehmend beteiligt. In Subsahara-Afrika ist es bereits größter Waffenexporteur, und Pakistan ist für Chinas Waffenindustrie wichtigster Absatzmarkt im Ausland.

Zusammengenommen handelt es sich bei all diesen Maßnahmen laut Sabine Mokry vom Mercator Institute for China Studies um eine »Globalisierung der nationalen chinesischen Sicherheitspolitik«. Dabei liefern die neue Seidenstraße und die damit verbundenen Interessen eine wichtige Begründung für weitere Militärausgaben. China wird damit zu einem führenden Akteur in dem sich immer klarer herausbildenden asiatischen Rüstungswettlauf. Während die Militärausgaben in Asien bis 2020 um 23 Prozent steigen werden, sollen Ausgaben für die Marine in der Region voraussichtlich um 60 Prozent zulegen.

Mit Blick auf die bisherige Entwicklung der neuen Seidenstraße wäre es ein Fehler zu hoffen, Handel und Investitionen alleine würden ausreichen, um den Frieden in den beteiligten Regionen zu stärken. Ganz im Gegenteil zeigt die Neue Seidenstraße die Risiken einer Handelspolitik auf, die bilaterale über multilaterale Ansätze stellt, Interessen der Lokalbevölkerung außer Acht lässt und zum regionalen Rüstungswettlauf beiträgt. Nur wenn China diese Risiken berücksichtigt, kann es sein Versprechen in Bezug auf Frieden und Wohlstand in den Ländern entlang der neuen Seidenstraße einlösen.

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