Wirtschaft mag »Jamaika«

Unternehmen fordern nach der Bundestagswahl zügige Regierungsbildung - in ihrem Sinne

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.

Wirtschaftsverbände beginnen, sich mit der derzeit wahrscheinlichsten Koalition »Jamaika« (Union, FDP und Grüne) anzufreunden. Unternehmens-Grün, der Bundesverband der ökologischen Wirtschaft, fordert die neue Grünenfraktion auf, sich für eine Merkel-Koalition mit der FDP stark zu machen. »Eine Wirtschaftswende Richtung sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit lässt sich nur in Regierungsverantwortung erreichen«, sagt Klaus Stähle, Unternehmer und Verbandsvorstand. Kleine und lokal agierende Firmen sollten gegenüber internationalen »nicht weiter benachteiligt werden dürfen«.

Da spielt das Großkapital nicht mit. In der Steuerpolitik sei die Zeit für Strukturreformen gekommen, um im globalen »steuerlichen Standortwettbewerb« zu bestehen. BDI-Präsident Dieter Kempf weiter: »Wir brauchen ein attraktives Steuerrecht und weniger bürokratische Lasten.« Hier könnte die FDP gefordert sein. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) gilt als mächtigste Wirtschaftslobby. Wie andere Verbände und Teile der CDU scheint er offen dafür, dass Deutschland tiefer in die Tasche greift, im Gegenzug aber Strukturreformen in der EU erfolgen - etwa ein Insolvenzmechanismus für Staaten und ein Euro-Etat.

Auf ein weiteres zentrales Zukunftsthema, das im Wahlkampf zu kurz kam, weist der frühere Hamburger CDU-Senator Axel Gedaschko als Präsident des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft GdW hin: mehr und bezahlbare Wohnungen. In einem 14-Punkte-Papier fordert der GdW ein eigenes Bauministerium und eine Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus durch den Bund. Nicht nur in großen Städten - besonders gefördert werden müsse auf dem Land.

Auf die vertiefte Spaltung der Gesellschaft war Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), bereits nach den ersten Hochrechnungen im Hauptstadtstudio der ARD eingegangen. Sie sei für die exportorientierte deutsche Wirtschaft schädlich. Diese benötige offene Grenzen. Schweitzer forderte die künftige Regierung auf, mit zukunftsorientierten Investitionen den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Als »Schlüsselthemen der Zukunft« nannte er Bildung - vor allem müssen man sich dem Fachkräftemangel stellen -, digitale Infrastruktur und Forschung. Der DIHK vertritt die Interessen der mittelständischen Wirtschaft mit Ausnahme des Handwerks.

Der Wahlerfolg der AfD erschreckte Hans Peter Wollseifer vom Zentral-verband des Deutschen Handwerks. Dagegen sieht auch der Handwerkspräsident eine mögliche Koalition aus Union, FDP und Grünen mit einem gewissen Wohlwollen. Sie berge die Chance, »Zukunftsthemen mit neuen Lösungsansätzen anzugehen und Deutschland einen Modernisierungsschub zu geben«. Ganz oben auf der Wunschliste steht die Einkommensteuer. Im Handwerk sind vier von fünf Betrieben Einzelunternehmen. Für sie ist die Einkommensteuer auch die Unternehmenssteuer. Und hier sieht sich das Handwerk gegenüber GmbHs und Aktiengesellschaften benachteiligt, deren Gewinne über die Körperschaftsteuer weit niedriger besteuert werden.

In die Debatte über die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich gehöre die prekäre Einkommenssituation von fast 30 Prozent der Solo-Selbstständigen und kleinen Unternehmern, mahnt Rolf Sukowski, Vorstandsvorsitzender des linksparteinahen Wirtschaftsverbandes OWUS gegenüber »nd«. Die Regierung müsse sich stärker der Probleme annehmen, die sich aus der kleinteiligen Unternehmensstruktur in den neuen Bundesländern ergäben. Hier sei auch die LINKE gefordert, vor allem dort, wo sie Regierungsverantwortung trage. »Dabei kann und muss der Bundesrat wahrscheinlich eine noch größere Rolle spielen.«

Bei der Deutschen Bank schaut Chefvolkswirt David Folkerts-Landau über die Koalitionsbildung hinaus: Die größte Herausforderung bestehe darin, der Bevölkerung klar zu machen, »dass mehr Veränderung nötig ist, um das Erreichte nicht zu verspielen«. So könnte eine weitere Liberalisierung der Rente und der Sozialsysteme an der demografischen Wende scheitern. Eine wachsende Zahl alter Menschen fürchte um ihre Besitzstände.

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