Labour mit guten Gefühlen

Jeremy Corbyn verbreitete auf dem Parteitag Zuversicht und bremste Kritiker aus

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 3 Min.

Delegierte des Labour-Parteitags im englischen Seebad Brighton verwandelten das Tagungszentrum in eine Stätte des Lächelns: Die britische Partei ist mit mehr als 569 000 Mitgliedern die größte Europas. Bei der Parlamentswahl im Juni gewann sie drei Millionen Stimmen hinzu und war besonders erfolgreich bei Jungwählern. Der Widerstand, der vor anderthalb Jahren vier Fünftel von Jeremy Corbyns Fraktionskollegen dazu trieb, ihm das Misstrauen auszusprechen, ist erloschen. Während die konservative Regierung ein Bild der Zwietracht bietet, lassen sich Schattenminister auf eine bevorstehende Übernahme der Regierungsverantwortung vorbereiten. Der Kontrast zu den sozialdemokratischen Schwesterparteien Frankreichs und Deutschlands könnte kaum größer sein.

Ein paar Wermutstropfen trübten jedoch die Sektlaune. Die Wahl im Juni brachte Labour zum ersten Mal seit 1997 dreißig Mandate hinzu, aber sie hat heute nur eine Handvoll mehr Unterhaussitze als beim Machtverlust 2010. Eine Studie der Denkfabrik Compass, die 2003 von linken Blair-Kritikern gegründet wurde, befindet, dass Traditionswähler in Mittel- und Nordengland Corbyns Partei den Rücken gekehrt haben. Viele Arbeiter dort hielten die neue Linie der Massenpartei für zu einwanderungsfreundlich, zu London-fixiert und zu links. Sie hat zwar die niedrigen Erwartungen ihrer Anhänger übertroffen - vor allem durch eine starke Präsenz in den sozialen Medien, die die Unwahrheiten der Rechtspresse widerlegen konnten.

Labour gewann Stimmen von Liberalen, Grünen und früheren Nichtwählern. Aber: konservative Überläufer wie zu Blairs Zeiten gab es kaum. Trotz einer miserabel geführten Wahlkampagne erreichten Theresa Mays Tories 2,4 Prozent mehr Stimmen, haben 56 Sitze mehr. Trotz des Tory-Tohuwabohus führt Labour in der neuesten Umfrage nur knapp mit 44 zu 40 Prozent.

Hinzu kommt, dass sich die Freunde Corbyns in Brighton auf Verfahrensfragen versteiften, die den Großteil der Unüberzeugten nicht vom Hocker reißen. Obwohl zwei Drittel der Labouranhänger den Verbleib im Binnenmarkt befürworten, ließen Delegierte keine verbindliche Parteitagsabstimmung zu, aus Angst, den im Juni noch erfolgreichen Spagat mit Remainer- und Brexiter-Stimmen nicht mehr aufrechterhalten zu können.

Innerparteiliche Machtfragen sind wichtig, aber der durch keinen Pressefilter gehinderte Zugang zum Publikum ebenfalls. Kritiker Corbyns wie die scharfsinnige Ex-Ministerin Yvette Cooper oder der Oberbürgermeister von Manchester, Andy Burnham, durften nicht im Plenum reden. Es herrschte eiserne Disziplin wie zu Blairs Zeiten, nur diesmal von links ausgeübt. Wurde hier die Gelegenheit verspielt, Publikumsaufmerksamkeit zu erreichen?

Schattenfinanzminister John McDonnell versprach die Vergesellschaftung von Bahn, Post, Wasserwerken und Energieträgern sowie ein Ende der unvorteilhaften öffentlich-privaten Partnerschaften. New Labour ist tot. In seiner Abschlussrede gab sich Corbyn optimistisch. Die Tories würden nur untereinander raufen und die Brexit-Verhandlungen vermasseln. Sie sollten sich zusammenreißen oder ihm und den Seinen nach Neuwahlen Platz machen.

Der jahrelang euroskeptische Parteichef sieht beim Brexit »einige positive Aspekte« - im Gegensatz zur kleinen Fraktion der Liberalen will er keine zweite Volksabstimmung, auch wenn die Austrittsbedingungen ungünstig ausfallen. Labour stelle »die neue Vernunft« dar.

Mit verstärktem Wir-Gefühl fuhren die Delegierten nach Hause, fühlten sich mit »Jezza« Corbyn auf dem Weg zur Macht.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.