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Erster Blickkontakt
Warnungen vor Maximalforderungen lösen langsam das Eis zwischen den Jamaikanern auf - und die Obergrenze?
Die CSU verlangt sie, alle anderen sagen Nein - die Obergrenze für Flüchtlinge. Doch mit der CSU ist es wie bei einem Panzer mit Motorschaden - sie bewegt sich nicht und bleibt unberechenbar. Werden die potenziellen Partner also die Zelte abbrechen, bevor das erste Wort gewechselt ist? Ist die Jamaikakoalition eine Chimäre?
Kaum. Die hohe Schule der Politik ist nun gefragt, sie zeigt sich in der Fähigkeit Kompromisse zu schließen, die eigentlich nicht möglich scheinen. An den Obergrenzen wird sich die Kompromiss- und Politikfähigkeit der Beteiligten erweisen, und ihren Belastungstest wird die gefundene Formel auf Parteitagen bestehen müssen, wo die jeweilige Parteibasis davon überzeugt werden muss, dass die eigenen Unterhändler die eigentlichen Sieger des Kompromisses sind.
Diese selbst beginnen derzeit ihre neue Rolle anzunehmen und zu überlegen, wie das Unmögliche möglich werden könnte. Zu allererst gelte es, so riet ihnen allen der schleswig-holsteinische Ministerpräsident, Daniel Günther, der Gegenseite Luft zum Atmen zu lassen. Der CDU-Politiker hält in Kiel selbst eine schwarz-gelb-grüne Regierungskoalition zusammen und warnte im Inforadio am Donnerstag vor zu vielen roten Linien und Maximalforderungen.
Aber wie soll das gehen bei so unvereinbaren Positionen zur Obergrenze? Die FDP wagte es zuerst, das Visier ein wenig hochzuklappen. Generalsekretärin Nicola Beer kann sich offenbar einen Kompromiss mit der CSU schon irgendwie vorstellen. An diesen tastet sie sich unter Einsatz eines Attributs heran: starr. »Wir sind gegen eine starre Obergrenze bei der Aufnahme von Asylberechtigten«, sagte Beer dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. »Aber über eine Grenze der Integrationskraft unseres Landes müssen wir reden.«
Damit hat sie immerhin Blickkontakt mit der CSU aufgenommen. Mit den Grünen verbindet Beers Partei wiederum die Forderung nach einem Einwanderungsgesetz. Aber es gibt auch Unterschiede zu den Grünen. Beers Gesetz soll klar zwischen Asyl für politisch oder religiös Verfolgte, zeitlich befristetem Schutz für Flüchtlinge sowie Einwanderung mit einem Punktesystem nach kanadischem Vorbild unterscheiden. Auch die Grünen stellen sich so ein Punktesystem vor. Ihr Entwurf weist allerdings einen größeren Toleranzbereich zwischen den Gruppen von Migranten auf und sieht auch mögliche »Spurwechsel« vor. Also etwa könnte ein gescheiterter Asylsuchender einen Aufenthaltsantrag nach Einwanderungskriterien, also zur Arbeitssuche stellen. Und umgekehrt, ein Arbeitssuchender einen Asylantrag stellen. Gedankliche Nähe könnte die FDP darin sehen, dass die Grünen keine soziale Hilfe für die Zeit der Arbeitssuche vorsehen, da müssen die Flüchtlinge halt sehen, wie sie zurechtkommen.
Noch gilt bei den Grünen die strikte Verweigerung einer Obergrenze. Dass das internationale Recht eine solche ausschließt, darin sind sich alle Beteiligten einig, wahrscheinlich sogar die CSU. Doch die Christsozialen sind panisch um ihren Ruf als harter Hund unter den »demokratischen Bundestagsparteien« besorgt und pochen stur auf die Obergrenze.
Bei der FDP räumt man nun also schon ein, Integrationsgrenzen gebe es natürlich. Und die Grünen? Die warnen auch vor roten Linien - denen der anderen. Aber in Cem Özdemirs Satz »Niemand sollte Maximalforderungen aufstellen, die schon im Vorhinein als Ausschlusskriterien verstanden werden können«, könnte man auch einen zaghaften Begrünungsversuch der eigenen roten Linien sehen. Özdemirs Koparteichefin Simone Peter bekräftigt derweil, dass es mit den Grünen die Obergrenze für Flüchtlinge nicht geben könne. Özdemir bestätigt: »Eine Obergrenze kann es nicht geben.« Wie Bundeskanzlerin Angela Merkel, die noch im Wahlkampf erklärte: »Meine Haltung zu der Obergrenze ist ja bekannt, dass ich sie nicht will. Ich möchte sie nicht. Garantiert.«
Gegen eine andere Art von Obergrenzen spricht dies womöglich nicht. Im Falle der Arbeitsmigration dürfte eine Begrenzungszahl kaum zum Bruch führen. Und die österreichische Variante der Obergrenze für Flüchtlinge könnte ja auch noch jemandem als Vorbild in den Sinn kommen. Der dort gefundene faule Kompromiss legt fest, dass die Grenze erreicht ist, wenn der Staat Ordnung und Sicherheit gefährdet sieht - festgelegt ist eine Größenordnung von knapp 32 000 Ankömmlingen. Asylanträge müssen allerdings weiter auch bei Überschreiten der Zahl geprüft und bei Schutzbedürftigkeit positiv beschieden werden. Geschaffen wurde aber eine Art Reisewarnung für das eigene Land, in rechtlich fragwürdiger Konstruktion, die für Flüchtlinge aber ein Hindernis darstellt. Was auch immer das Ergebnis sein wird, vor der Niedersachsen-Wahl in reichlich zwei Wochen halten die Jamaika-Unterhändler erst einmal die Füße still. Aufregen wollen sie sich danach. Oder auch nicht.
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