• Politik
  • Rechtsruck in Ostdeutschland

Ohne Zug und Zeitung

Dorfbewohner fühlen sich vergessen - und zeigen das bei Wahlen

  • Hendrik Lasch, Dürrhennersdorf
  • Lesedauer: 5 Min.

Immerhin: Zwei Läden gibt es noch. Die Fleischerei Zugwurst in Dürrhennersdorf hat an diesem Tag Schnitzelfleisch im Angebot. Ein Stück weiter wirbt die Bäckerei mit Buchteln. Das war es dann aber an öffentlichen Einrichtungen in dem rund 1000 Einwohner zählenden Ort in der Oberlausitz. Ein Dorfladen, eine Post, eine Kneipe, in der man sich abends auf ein Bier treffen könnte? Fehlanzeige.

Alles das gab es früher. Vor 25 Jahren existierten in Dürrhennersdorf ein Konsum, eine Post und ein Gasthof, der in dieser Gegend »Kretscham« heißt. Die Läden waren nicht nur für die Leute aus dem Dorf wichtig, sondern auch für die Beschäftigten einer Tuchfabrik. Der Betrieb ist längst abgewickelt, die Infrastruktur folgte. Der Konsum wurde erst durch einen Dorfladen ersetzt, der sich später zum Getränkestützpunkt wandelte und dann dicht machte. Es folgte ein kleiner Laden, in dem immerhin noch Bier, Zeitungen und Klopapier verkauft wurden. Unlängst wurde er geschlossen - aus Altersgründen. Die Filiale eines Versandhandels konnte sich ebenso wenig halten wie ein Schuhladen.

Nicht nur der Einkauf ist in Dürrhennersdorf schwierig geworden. Die Bahnstrecke in Richtung Zittau und Görlitz wurde vor 15 Jahren eingestellt; jetzt fährt ein paar mal am Tag ein Bus - wenn nicht gerade Schulferien sind. Kulturelles Leben fand einst im Park des Ritterguts statt: Dort gab es Freiluftkino und Parkfeste. Heute ist das Gut saniert, aber weitgehend ungenutzt; um den Park zieht sich ein Zaun. Eine eigene Verwaltung gibt es auch nicht mehr. Dürrhennersdorf hat vor Jahren seine Eigenständigkeit verloren und wird von Neusalza-Spremberg aus regiert.

Es gibt dieser Tage viele Versuche, den Wahlerfolg der AfD in Ostdeutschland, in Sachsen und nicht zuletzt in der Oberlausitz zu ergründen - ein Erfolg, zu dem auch Dürrhennersdorf beitrug: Von 824 Wahlberechtigten gaben 528 ihre Stimme ab, davon 238 für die AfD, ein Ergebnis von 45,1 Prozent. Schon bei der Landtagswahl 2014, als die Partei erstmals in einen Landtag einzog, war sie im Ort besonders erfolgreich: 33,6 Prozent bedeuteten damals sächsischen Rekord.

Die Motive, warum Rechtspopulisten gewählt werden, sind sehr vielfältig: echte oder gefühlte wirtschaftliche Benachteiligung, Misstrauen gegenüber Demokratie und etablierten Parteien, tiefe Ressentiments gegen Fremdem und Fremden, Skepsis gegenüber Veränderung. Allerdings kommt in der hohen Zustimmung auch eine zunehmende Kluft zwischen Stadt und Land zum Ausdruck. Das Kreuz für die AfD ist dabei auch der - zweifelhafte - Versuch, ein in vielen Dörfern verbreitetes Gefühl zu artikulieren: das, wonach die eigenen Probleme von der Politik nicht mehr wahrgenommen werden.

Exemplarisch wird das deutlich in Berichten aus dem mittelsächsischen Dorfchemnitz, jenem Ort, in dem die AfD bei der Bundestagswahl sogar 47,4 Prozent einfuhr und mit 414 Stimmen exakt so stark war wie die fünf anderen im Bundestag vertretenen Parteien zusammen. »Uns hier im Gebirge vergisst man«, zitiert die »Sächsische Zeitung« einen Einwohner, der SPD gewählt habe: »Wir sind auf dem Dorf das Letzte.« Der parteilose Bürgermeister Thomas Schurig erklärt, es gebe kaum Arbeitslosigkeit und wenig soziale Probleme in dem Ort. Es gibt aber auch kein Geld, um etwa einmal eine Straße zu sanieren. Und Politiker - außer von der AfD, die im Wahlkampf geschickt die abgelegenen Orte bespielte - ließen sich nicht blicken. Titel der Reportage: »Im Tal der Vergessenen«.

Solche Täler gibt es in Ostdeutschland viele - auch dort, wo das Land eher flach ist. Gerade im »so genannten ländlichen Raum« sei »der Staat aus der Fläche verschwunden«, heißt es in einer Analyse der »Süddeutschen Zeitung« zu den AfD-Erfolgen im Osten - und damit auch das gesellschaftliche und unternehmerische Leben. Dörfer verloren durch Gemeindereformen ihre Eigenständigkeit; Schulen wurden geschlossen, was Kinder zu langen und für die Eltern teuren Busfahrten zwingt; Arztpraxen, Bankfilialen und selbst Geldautomaten machten dicht. Derlei Zustände müssen nicht zwangsläufig zu Zustimmung für Rechtspopulisten führen. In der katholisch-sorbischen Lausitz lagen deren Ergebnisse unter dem Landesdurchschnitt; zugleich hat sie Bastionen auch im sehr gut versorgten Speckgürtel rund um Dresden. Dass aber eine verschwundene Daseinsvorsorge oder das, wie die »Süddeutsche« es formuliert, fehlende Erlebnis von Politik als »handlungsfähigem Advokaten der Bevölkerung« ein Gefühl von Frust weiter befeuert: Das steht wohl außer Zweifel.

Wie ernüchtert die Landbewohner sind, hat auch Michael Kretschmer erfahren, Generalsekretär der CDU in Sachsen - jener Partei, die den Freistaat seit 1990 ununterbrochen regiert, sich dabei lange Zeit nicht zuletzt auf großen Rückhalt in den eher konservativen ländlichen Regionen stützen konnte und nun bei der Bundestagswahl ihr blaues Wunder erlebte, indem sie von der AfD überholt wurde. Kretschmer, der auch sein Direktmandat verlor, macht dafür eine »Melange« verantwortlich, eine Stimmung, zu der die Abwehr von Zuwanderung beitrug, aber auch die Sorge um die künftige Rente und der Ärztemangel auf dem Land.

Wie stark das die Abkehr von der »etablierten« Politik befördert, hat Kretschmer bei einem »Schlüsselmoment« im Wahlkampf erlebt. In einer Gemeinde, in der fast alle Arbeit haben und die Straßen saniert sind, redete er mit Gemeinderäten, die seit einer Eingemeindung kaum noch etwas zu entscheiden haben. Er erfuhr, dass es in dem Ort kein einziges Parteimitglied mehr gibt, kaum jemand eine Zeitung liest und sich die Leute überwiegend über Facebook informieren. Der CDU-Mann hatte eine kuriose Idee: »Es wäre gut, wenn wir jedem eine Zeitung geben könnten.«

Womöglich würde mancher die Information auf Papier sogar denen aus dem Internet vorziehen. Denn das ist im Freistaat quälend langsam - nahezu überall außerhalb der Städte.

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