- Kultur
- Blade Runner 2049
Jagd auf den Mythos
Denis Villeneuve bringt Blade Runner wieder ins Kino
In diesem Jahr gibt es reichlich bombastisch inszenierte und mit Hollywoods erster Garde besetzte Science-Fiction-Blockbuster. Während einige vielversprechende Filme wie »Passengers«, »Ghost in the Shell« und »Valerian« enttäuschten, kann das Sequel von »Blade Runner« voll überzeugen.
»Blade Runner 2049« ist zweifellos das ambitionierteste Science-Fiction-Filmprojekt dieses Jahres und das Ergebnis kann sich absolut sehen lassen. Dabei wäre die drohende Fallhöhe für den franko-kanadischen Regisseur Denis Villeneuve hoch. Eine Fortsetzung des Meisterwerks »Blade Runner« abzuliefern, heißt, einem Kino-Mythos hinterherzujagen. Ridley Scott revolutionierte 1982 mit der Verfilmung des Romans von Philip K. Dick die Sehgewohnheiten des damals boomenden Science-Fiction-Films geradezu und setzte ästhetische Standards für das Genre, die noch heute Gültigkeit haben.
Entsprechend finden sich in dem fast dreistündigen bildgewaltigen Opus »Blade Runner 2049« zahlreiche Anleihen und Fortschreibungen des Originals - von den in Neonlicht getauchten futuristischen Großstadtszenen bis zu den enormen Skylines des im schlechten Wetter versinkenden Los Angeles der Zukunft. Wobei in dieser Dystopie 30 Jahre nach dem ersten »Blade Runner« alles noch düsterer und noch bedrohlicher ist. Schmutziger Schnee klebt Los Angeles zu, der nahe Ozean wird von einer gigantischen Mauer abgehalten und während kleine und große Flugobjekte durch den verfinsterten Himmel gleiten, sorgt eine verstörend dröhnende Filmmusik für Gänsehaut.
Der Polizist, der im Zentrum des Films steht, hat gar keinen Namen, sondern nur eine Seriennummer, die mit »K« abgekürzt nicht zufällig an Kafkas Figur aus »Der Prozess« erinnert und sich ähnlich komplexen Strukturen aus Ordnung und Gewalt ausgeliefert sieht. Die Neuauflage des LAPD-Polizeioffiziers, den vor über 30 Jahren Harrison Ford gab und der ebenfalls in der neuen Verfilmung auftaucht, verkörpert Ryan Gosling schlicht großartig. Die Begegnung der beiden findet in einem verseuchten Las Vegas statt, das wie das Ende der Welt anmutet. Shootingstar Gosling wird ja meist in Filmrollen als smarter, hübscher Bursche in Szene gesetzt, in »Blade Runner 2049« sieht er mitunter aus, als hätte er gerade eine Woche lang in einer Tonne gehaust. Wie der Vorgänger kontrastiert »Blade Runner 2049« die aalglatte, technologisch perfekt weiterentwickelte Welt mit den sozialen Abgründen einer dystopischen Zukunft und ihrer großstädtischen Slums. »K« ist ein Replikant, also ein künstlich hergestellter Mensch, von denen es Millionen gibt und die mit begrenzter Lebensdauer und implantieren Kindheitserinnerungen wie Sklaven diese mit gigantischen Werbetafeln vollgekleisterte spätkapitalistische Zukunft am Laufen halten, während die meisten echten Menschen längst auf anderen Planeten ohne kontaminierte Umwelt leben.
Der Fund eines Artefakts könnte plötzlich die bisherige soziale Ordnung dieser alptraumhaften Welt auf den Kopf stellen. »K« wird mit den Ermittlungen beauftragt, die ihn Stück für Stück in die Geschichte des ursprünglichen »Blade Runner«-Films eintauchen lässt. Immer wieder geht es um die Frage, ob und wie sich künstliches von echtem Leben unterscheidet. »K« führt eine berührende sehnsuchtsvolle Beziehung mit einem Hologramm, das, sobald es auftaucht, eine kurze Melodie erklingen lässt wie eine App, die geladen wird. Die künstlichen Lebensformen in »Blade Runner 2049« haben allesamt Bewusstsein und Gefühle. »K« selbst muss regelmäßig zu einem psychologisch-emotionalen Test, in dem er vor einem Interface Begriffe aufsagen muss, um seine soziale Ausgeglichenheit zu überprüfen.
Was die künstlichen Lebensformen mehr als alles andere wünschen, ist endlich jenseits einer reinen Funktionalität zu leben und nicht nur bestimmte Aufgaben zu erledigen, was auch als Analogie auf die Entfremdung des menschlichen Subjekts in der Moderne gelesen werden kann. Und das ist dann nicht nur ein individueller Traum von »K« oder von der brutalen Replikantin, die ein mächtiger Konzern losschickt, um ihn zu jagen, sondern eine kollektive Bewegung vieler künstlicher Lebensformen aus dem Untergrund, die nicht weniger als eine Revolution planen. Das von »K« zu lösende Rätsel in diesem trotz der Länge durchgängig spannenden Film bleibt bis zum letzten Moment offen und erlebt eine überraschende Auflösung.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.