- Politik
- Großbritannien
Schaulaufen der Ideenlosen
Der Parteitag der britischen Konservativen ging am Mittwoch zu Ende / May bleibt im Amt
Die Stimmung beim Tory-Parteitag in Manchester ist gedrückter als die vorige Woche bei Labour. Obwohl die Konservativen mit 318 von 650 Abgeordneten die Regierung stellen, ist die riesige Halle meistens halbleer. Die Spatzen pfeifen von den Lancashire-Dächern: Der Brexit ist im Eimer, die Austeritätspolitik diskreditiert, Premierministerin Theresa May ist nach Ansicht ihres Außenministers Boris Johnson in einem Jahr weg vom Fenster.
Schon am Vorabend des Treffens kam eine Hiobsbotschaft von der vom Ex-Minister David Willetts gegründeten Denkfabrik Legatum. Die Partei sei dabei, durch die Verdreifachung der Studiengebühren und die Überschuldung eines Großteils der Jugend eine ganze Generation zu verlieren. Als Auftakt des Parteitags versprach May plötzlich ein Einfrieren der Gebühren und höhere Darlehen zur Erleichterung des ersten Hauskaufes. Ob diese halbherzigen Maßnahmen die Wähler unter 45 zurückgewinnen? Obendrein kommen die Brexit-Verhandlungen nach 15 Monaten noch immer nicht voran. Die Uhr tickt gegen Britannien, das fast die Hälfte seines Außenhandels mit dem Rest der EU betreibt. Andere Partner sind nicht in Sicht.
Eigentlich müsste da eiserne Disziplin die bedrängten Tories zusammenrücken lassen. Stattdessen findet ein Schaulaufen ehrgeiziger May-Nachfolger statt. Boris Johnson versuchte in einem Interview, seine Chefin zum zweiten Mal in drei Wochen auf einen möglichst schmerzvollen EU-Austritt festzunageln. May wagte nicht, ihn zu entlassen - auch dann nicht, als er am Rande des Parteitages die libysche Stadt Sirte als Ferienort empfahl, »sobald man die Leichen von dort entfernt«. Dagegen warnte Ruth Davidson, Vorsitzende der schottischen Tories, vor Johnsons Verblendung der Wähler in der Brexit-Frage, die schnell zu Enttäuschung führen könnte.
Der in der Partei drittbeliebteste Kandidat, der rechte Brexit-Fan Jacob Rees-Mogg, ist rabiater Abtreibungs- und Schwulengegner, hält die Verbreitung von Tafeln für eine gute Gelegenheit, christliche Nächstenliebe zu zeigen und gilt als Abgeordneter fürs 18. Jahrhundert. Brexit-Minister David Davis hat bisher nur den Spott seines Gegenübers Michel Barnier als Lorbeer vorzuweisen, Finanzminister Philip Hammond und Innenministerin Amber Rudd sind keine Brexit-Fans, was sie unter Tories nicht unbedingt wählbar macht. Darüber hinaus gelten sie als Langweiler. Kurz: May überlebt derzeit durch die Mittelmäßigkeit ihrer Gegner.
Hammond bot in seiner Rede auf dem Parteitag weder konkrete Maßnahmen noch Zukunftsvisionen, sondern beschimpfte Labour-Chef Jeremy Corbyn sowie Labours Finanzsprecher John McDonnell als »Dinosaurier«, die von der seines Erachtens erfolgreichen Thatcher-Politik der 1980er Jahre nichts gelernt hätten - und verteidigte die freie Marktwirtschaft als Glücksbringer. Sogar Vertreter der Geschäftswelt wie Carolyn Fairbairn vom Industrieverband CBI zeigten sich enttäuscht, »Dinosaurier« McDonnell bemängelte Hammonds Ideenlosigkeit. Boris Johnson hielt dagegen eine flammende Rede unterm Titel »Lass den Löwen brüllen!«.
May behauptete zwar, »kein Kabinett der Jasager« zu wollen und wichtige Fragen wie die Brexit-Taktik selbst zu bestimmen. Sie will auch eine volle Legislaturperiode an der Spitze durchhalten. Aber Worte sind billig, ihre Kabinettskollegen raufen wie Frettchen im Sack. Ihre Abschlussrede half ihr da wenig. Zwar übernahm sie die Idee von Labour, den sozialen Wohnungsbau wieder anzukurbeln. Es wäre eine Politikwende um 180 Grad: Im letzten Jahr wurden in dem 62-Millionenland nur 6 800 solcher Häuser und Wohnungen gebaut. Aber darüber hinaus lieferte die Premierministerin nur Gemeinplätze: Konservative müssten alle zusammenarbeiten, damit morgen besser als heute werde. Und so weiter. In eineinviertel Stunden Rede gab es im Grunde nur zwei Lichtblicke: Ausgerechnet beim Lob der Marktwirtschaft wurde May von Hustenkrämpfen überwältigt. Und ein Protestler drang ans Podium, um May eine fingierte Entlassungsurkunde zu überreichen. Die Frau hat ihr Bestes gegeben. Das ist Britanniens Problem.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.