Züge ohne Schaffner
Britische Zugführer fordern mehr Lohn und wehren sich gegen Rationalisierung
Nach der Zuspitzung Anfang der Woche, deutet sich nun Entspannung an: Ein Streik bei der Londoner U-Bahn ist in letzter Minute abgesagt worden. Ein Großteil der Zugführer hatte im Streit um Arbeitszeiten und Wochenenddienste damit gedroht, am Donnerstag für 24 Stunden in den Ausstand zu treten. Das Verhandlungsteam habe aber ausreichend Fortschritte gemacht, um den Streik absagen zu können, teilte die britische Zugführergewerkschaft Aslef mit. Ob damit der seit Monaten andauernde Konflikt zwischen den britischen Eisenbahngesellschaften und ihren Angestellten kurz vor einer Lösung steht, ist offen. Erst diese Woche haben Beschäftigte vier verschiedener Unternehmen gestreikt, die Eisenbahnnetze im Norden und Südosten Englands betreiben.
Beim Disput zwischen den Betreibergesellschaften und den Bahnangestellten geht es um die geplante Einführung von Zügen ohne Schaffner: Der Zugführer soll selbst für das Öffnen und Schließen der Türen verantwortlich sein. Laut den Betreibergesellschaften soll dies die Effizienz verbessern. Aber die Gewerkschaft RMT, die Arbeitnehmer im Transportwesen repräsentiert, kritisiert, dass das die Sicherheit der Passagiere gefährde: Schaffner haben nebst dem Schließen der Türen eine Reihe von anderen Aufgaben, insbesondere im Fall von technischen Pannen oder Unfällen, die sie für den sicheren Betrieb unerlässlich machen.
Protest gegen Regierungspartei
Dass der erste Streiktag am Dienstag zusammenfiel mit der Jahreskonferenz der Konservativen Partei, ist kein Zufall: Die Regierung hat sich hinter die Pläne der Betreibergesellschaften gestellt. Mick Cash, der Generalsekretär der RMT, hat Theresa May beschuldigt, die Verhandlungen zwischen den Unternehmen und der Gewerkschaft zu sabotieren: »Mehrere Bahnunternehmen haben mir privat angedeutet, dass die Regierung eine Einigung blockiert, die sie unter normalen Umständen mit der RMT hätten schließen können«, schrieb Cash in einem Brief an die Premierministerin. Er verweist auch darauf, dass in Schottland und Wales eine Übereinkunft zwischen Betreibergesellschaften und den Regionalregierungen möglich war.
Das britische Eisenbahnsystem, das in den 90er Jahren privatisiert worden ist, sorgt nicht nur bei den Arbeitnehmern seit langer Zeit für Frustration, sondern auch bei den Passagieren: Zugfahrten sind exorbitant teuer, die Wägen sind oft überfüllt und die Infrastruktur ist veraltet. Seit 2010 sind die Fahrkartenpreise um 27 Prozent gestiegen - rund drei Mal so schnell wie die durchschnittlichen Löhne. Laut Umfragen würden es 60 Prozent der Briten begrüßen, wenn das Zugsystem wieder in staatlicher Hand wäre.
Die Labour-Partei hat versprochen, genau das zu tun: Auf der Parteikonferenz vergangene Woche bekräftigte Schattenfinanzminister John McDonnell das. Auch die Wasser- und Stromversorgung sollen dem Privatsektor entzogen und in die öffentliche Hand gelegt werden.
Dagegen nutzte Finanzminister Philip Hammond eine Rede am vergangenen Sonntag, um den freien Markt zu verteidigen. Er verglich die Wirtschaftspolitik Labours mit jener Kubas und Venezuelas. Und er versprach, rund 400 Millionen Pfund in die Erneuerung von Straßen- und Zugverbindungen im Norden Englands zu investieren - eine klare Herausforderung an die Oppositionspartei, die dort dominant ist.
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