Boten der Apokalypse
Die Biennale für aktuelle Fotografie präsentiert eine vitale Kunstform
Stirbt die Fotografie im digitalen Zeitalter aus? Welcher Wert kann einem Bild noch zukommen, wenn es neben hundert weiteren auf einem Smartphone gespeichert ist? Statt den perfekten Augenblick zu würdigen, haben die meisten Aufnahmen nur noch die Funktion, etwas auf Instagram zu beweisen. Schaut her, ich war am Eiffelturm! Schaut her, ich bin in einer neuen Beziehung!
Dass Fotografie durchaus anderes zu leisten und sich noch immer auf dem weiten Feld der Kunst zu bewähren vermag, lässt sich derzeit in der Rhein-Neckar-Region im Rahmen der Biennale für aktuelle Fotografie (»Farewell Photography«) bestaunen, die Werke des privaten und öffentlichen Lebens miteinander verquickt. Gegenüber stets positiven und glücklichen Profilbildern auf Facebook zeugen die auf Heidelberg, Mannheim und Ludwigshafen verteilten Ausstellungen von Differenzierungen.
Auch und vor allem auf Porträts: In der Sammlung Prinzhorn kann man derzeit Jürgen Klaukes Selbstporträtreihe »Das menschliche Antlitz im Spiegel soziologisch-nervöser Prozesse« (1976/77) betrachten. Mal schaut er auf den Aufnahmen böse, mal nett lächelnd. Unterhalb des Gesichts stehen Zuschreibungen wie »Schwachsinniger«, »Heiliger«, »Richter« oder »Süchtiger« und »Schwuler«. Weder die eine noch die andere Charakterisierung können absolute Gültigkeit für sich beanspruchen. Der Mensch besteht aus einer Vielheit und Widersprüchen, so die Aussage dieses Werkes, das auf einsichtige Weise unser modernes Identitätsproblem auf den Punkt bringt.
Spannend muten die Expositionen besonders dort an, wo sie sich in das Politische vortasten und etwa ideologische Blickkonstellationen entlarven. Im Mannheimer »Zephyr - Raum für Fotografie in den Reiss-Engelhorn-Museen« trifft man auf Bilddokumente, die im Zeichen der Zurücknahme desjenigen hinter der Kamera stehen.
Statt um sensationsgeile Brisanz geht es um stille, ruhige, ja, zu einem gewissen Teil auch objektive Aufnahmen (1972), zum Beispiel von Zimmern einer RAF-Wohnung. Wir sehen ein Bücherregal mit Werken wie »Geschichte des Bolschewismus« und Bölls »Freies Geleit für Ulrike Meinhof«. Oder einfach nur eine Badewanne mit Shampoo und Bürsten. Was hierbei so frappant wirkt, ist die Alltäglichkeit der Szenerie. Die scheinbar objektive Betrachterposition offenbart erst das Trügerische, die Ruhe vor dem Sturm.
Weniger subtil, dafür umso raffinierter erweisen sich die sogenannten »GAF-Snapshirts« (1976), ausgestellt im Heidelberger Kunstverein, des von der Arbeiterbewegung geprägten Künstlers Fred Lonidier. Auf den Kleidungsstücken befinden sich mitunter aufgedruckte Markennamen wie »Kodak«. Der Coup besteht darin, dass die T-Shirts einerseits eine Kapitalismuskritik repräsentieren, zugleich aber auf ein Konsumprodukt zurückgreifen und in dieser Wendung wiederum die Marktlogik unterwandern.
Gängige Seh- und Wahrnehmungsstrukturen zu hinterfragen und zu demaskieren - darin besteht der Anspruch der durchweg souveränen Kuratierung aller Einzelausstellungen. Im Zentrum steht zumeist die Frage nach der Definitions- und Deutungshoheit. Fotografien unterliegen zumeist einer Lenkung des Blicks und hierarchischen Sichtweisen. Wie sich ihnen Formen der Macht einschreiben, dokumentieren die im Ludwigshafener Kunstverein zu sehenden Passepartouts Haja Waheeds.
Nachdem sie fotografische Porträts in Zeichnungen übertragen und anschließend in Gruppen mit ähnlichen Aufnahmen sortiert hat, denkt sie sich dafür teils abstruse oder nichtssagende Überschriften aus, darunter beispielsweise »Men with Glasses« oder »Women with Short Hair« (beide Serien seit 2008). Statt individuelle Charakterzüge zu fokussieren, wählt sie ein übergreifendes Klassifikationsmerkmal. Nur eben kein politisch brisantes Attribut wie »schwarz« oder »muslimisch«. Kurzum: Die Künstlerin führt den kolonialen Diskurs ad absurdum. Sie demonstriert mit ihren Titeln die Willkür diskriminierender Kategorien.
Somit korrespondieren die Werke stets mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Sie verweisen immerzu auf ein Außerhalb, das sowohl subtil als auch sehr plakativ in Erscheinung treten kann. Kaum mehr loszulösen sind die Aufnahmen dabei von ihrem medialen Rahmen, der sie wie uns alle umgibt. Klaus Staecks »Apokalyptische Reiter (nach Albrecht Dürer)« (2014) markiert den krassen Bruch zwischen neuen und alten Bildträgern. Zu sehen sind die titelgebenden Boten der Apokalypse des Renaissance-Malers, auf denen sich vier beschriftete, rote Balken befinden: Amazon, Apple, Google und Facebook - die Datenmogule als Menetekel des Untergangs. Deutlicher kann man eine Kulturkritik kaum formulieren.
Wer diese gelungene Biennale besucht, dem wir klar werden, dass Fotografie längst nicht gestorben ist. Im Gegenteil: Sie erklärt sehr vital, wie unsere Sehstrukturen Täuschungen und Manipulationen erliegen können. In Zeiten von Fake News tragen echte Fotografien somit zur Aufklärung bei.
»Farewell Photography: Biennale für aktuelle Fotografie«, bis zum 5. November in Ludwigshafen, Mannheim und Heidelberg
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