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»Kolonialzoo« im Plänterwald
Unter dem Titel »zurückGESCHAUT« zeigt das Treptower Museum eine Schau über die Kolonialausstellung 1896
Wer den »Mustervertrag« des Deutschen Kaiserreiches unterzeichnete, machte sich und bisweilen auch Angehörige zum willenlosen Exponat. 106 Menschen – Männer, Frauen und Kinder – hat man so im Jahr 1896 aus den deutschen »Schutzgebieten« zum Objekt der Ersten Deutschen Kolonialausstellung, einem Teil der Gewerbeausstellung im Plänterwald, gelockt. Zum 25-jährigen Bestehen des Kaiserreichs und gut ein Jahrzehnt nach der Aneignung fremder Gebiete und Menschen in Afrika und Ozeanien, wollte man der »großen Masse des Volks« die globale Präsenz Deutschlands und ganz gewiss auch die Überlegenheit der Weißen nahebringen. Das war, ist und bleibt Rassismus pur und geht weit über eine regionalgeschichtliche Sicht hinaus.
Schon die Überfahrt der Menschen, die zumeist als Deckpassagiere unter Planen reisen mussten, war eine Tortur und das mit der Entlohnung betraf keineswegs alle, die man nach Deutschland brachte. Junge Mädchen, die in ihrer Heimat als Sklavinnen rechtlos waren, mussten die für sie gezahlte »Ablösesumme« in Berlin erst einmal abarbeiten. Ein halbes Jahr dauerte die Vorführung. Das »Negerdorf« maß 60 000 Quadratmeter, zwei Millionen Menschen pilgerten an die Spree, um zu sehen, wie »die so leben«. Die Reichsregierung gewährte nicht nur Gymnasialklassen sondern auch Gruppen von Fabrikarbeitern Rabatte, Tausende von Gemeindeschülern hatten freien Eintritt. Dennoch rechnete man mit 70 000 Reichsmarkt Gewinn ab.
Was da über ein Jahrhundert vor dem Beginn der global-digitalen Epoche präsentiert wurde, schien den meisten völlig fremd. Die Berliner begegneten dem Exotischen mit argloser Neugier. Man kann sich die Ausstellung wohl am besten vorstellen, wenn man sie mit einem Zoo vergleicht. Jede »Eingeborenengruppe« wohnte in einem für ihr jeweiliges Land typischen Gebäude, das mit eigens importiertem Material angefertigt worden war. Die sogenannten Vertragsdarsteller aus Neuguinea etwa lebten in Pfahlbauten, es gab einen riesigen afrikanischen Festungsbau. In den Morgenstunden hielt man die »Eingeborenen« in ihren Trachten an, sich »ganz normal« um ihren Haushalt zu kümmern sowie einem Handwerk nachzugehen. Nachmittags standen landestypische Tänze und Kriegsspiele auf dem Programm. Abends wurde getrommelt.
Doch viele der »Darsteller« waren mit anderen Vorstellungen nach Berlin gekommen. Sie hatten den Wunsch, Botschafter ihrer Kultur zu sein, etwas zu lernen. Einige der Angeworbenen gehörten in ihrer Heimat zu einer gut ausgebildeten Elite, manche sprachen hervorragend deutsch. Nun mussten sie sich jedoch in folkloristische Kleidung zwängen und Gebräuchen nachgehen, die sie daheim oft gar nicht praktizierten. Das brachte Spannungen mit sich. Friedrich Maharero, Sohn des Herero-Häuptlings Samuel Maharero, trug grundsätzlich nur einen europäischen Anzug und der Häuptlingssohn Bismarck Bell aus Kamerun begegnete den voyeuristischen Blick der Besucher, indem er sie ebenso beäuge – mit einem Opernglas.
Dem Treptower Museum war relativ rasch klar geworden, dass sie alleine das Thema nicht fassen können, sie verschoben die für den Sommer geplante Ausstellungseröffnung und setzten sich mit Vertretern der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland sowie dem Verein Berlin Postkolonial zusammen. Gemeinsam erarbeitete man eine neue Konzeption, gemeinsam wählte man Fotos und andere Dokumente aus. Auch die kommentierenden Texte wurden im Konsens verfasst. »Das war nicht immer einfach, doch es hat sich gelohnt«, sagt Museumsleiterin Barbara Ziebler. Matthias Wiedebusch, einer der fünf Kuratoren, ergänzt, dass man so auch das zur Kaiserzeit gängige rassistische Vokabular vermeiden konnte. Nur da, wo es zum Verständnis unbedingt notwendig ist, ließ man sich darauf ein und kennzeichnete die Texte sorgfältig.
In der Ausstellung, die an diesem Freitag um 19 Uhr im Treptow Museum, Sterndamm 102, eröffnet wird, sind auch 60 Porträts zu sehen. Die anderen »Darsteller« verweigerten sich den Untersuchungsmethoden des Direktorialassistenten Felix von Luschan, der im Auftrag des Museums für Völkerkunde seinerzeit eine systematische Beurteilung und Vermessung der »Fremden« betrieb. Die Ausstellungsmacher vermuten auch, dass man Organe der drei in Berlin verstorbenen Afrikaner als Studienobjekte missbrauchte. Außerdem waren 20 der nach Deutschland geschafften nach dem Ende der Kolonialausstellung nicht in ihre Heimat zurückgekehrt. Die Spurensuche ins Heute hat begonnen.
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