• Politik
  • Unabhängigkeitskampf in Irakisch-Kurdistan

Kurdenführer Barsani hat zu hoch gepokert

Irakische Armee brauchte weniger als 15 Stunden für die Einnahme der Millionenstadt Kirkuk

  • Jan Keetman
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Präsident Irakisch-Kurdistans, Massud Barsani hat mit seinem Unabhängigkeitsreferendum vor drei Wochen hoch gepokert, und seine Kurden haben nun so ziemlich alles verloren. Das irakische Militär und irakisch-schiitische Milizen haben die Stadt Kirkuk, die umliegenden Ölfelder und den Flughafen besetzt. Noch Stunden vor dem Einmarsch der irakischen Armee hatten die Kurden den Eindruck erweckt, sie würden Kirkuk notfalls bis zum letzten Peschmerga verteidigen. Am Ende brauchte die irakische Armee wohl weniger als 15 Stunden für die Einnahme von Kirkuk. Es ist dieselbe Armee, die neun Monate brauchte, um das etwas größere Mossul vom Islamischen Staat (IS) zurückzuerobern.

Tatsächlich hat wohl eine der beiden großen Parteien Irakisch-Kurdistans, die Patriotische Union Kurdistans (PUK) den Abzug ihrer Peschmerga-Truppen heimlich ausgehandelt, während man auf den Straßen noch für die Verteidigung Kirkuks demonstrierte. Es gab immerhin vereinzelte Kämpfe und Tote in und um Kirkuk. Die Hilfsorganisation Wadi, die seit Jahren in Irak bzw. Irakisch-Kurdistan aktiv ist, vermutet dass es sich bei den Gruppen, die noch Widerstand geleistet haben, um Milizen kleinerer kurdischer Parteien und bewaffnete Zivilisten handelte, denen wohl niemand gesagt hat, dass der Aufruf zur Verteidigung Kirkuks nicht ernst gemeint war.

Die großen Parteien beginnen bereits, sich gegenseitig die Schuld für das Desaster zuzuschieben. Doch nicht nur die PUK hat sich aus dem Staube gemacht. Von den Verstärkungen, die Barsani und seine Demokratische Partei Kurdistans nach Kirkuk entsandt hatte, war am Ende auch nichts zu sehen. Die irakische Armee nicht nur in Kirkuk eingerückt, auch andere strittige Territorien wurden von Regierungstruppen besetzt. Dazu gehört Khaneqin in der Provinz Diyala und Sindjar Im Länderdreieck Irak, Syrien, Türkei.

Diese Gebiete waren zum größten Teil 2014, als die Zentralregierung extrem geschwächt war, unter die Kontrolle der kurdischen Regionalregierung in Erbil gekommen. Danach wurden die irakische Armee und schiitische Milizen von Iran und den USA gegen den IS aufgebaut.

Iran spielte auch eine entscheidende Rolle bei der Rückeroberung von Kirkuk. Angeblich wurden die irakischen Streitkräfte von dem Kommandeur der »Jerusalem-Brigade« der Iranischen Revolutionswächter, Qasem Soleimani, koordiniert. Die USA, die bisherige Schutzmacht der Kurden, hatten zwar versucht eine Eskalation zu verhindern, schlugen sich aber, als Barsani auf das Referendum nicht verzichten wollte, auf die Seite des ihnen wichtiger erscheinenden Partners. US-Kampfjets donnerten über die irakischen Truppen hinweg, als sie auf Kirkuk vorrückten, aber nicht um sie abzuschrecken, sondern eher als Eskorte. Das Vertrauen ihrer syrisch-kurdischen Verbündeten in die USA dürfte allerdings das nicht gerade gesteigert haben.

Langezeit hatte sich der irakische Ministerpräsident Haidar al-Abadi um die Einbindung einer dritten Macht bemüht. Kurz vor Beginn des Einmarsches behauptete Bagdad dann, die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) sei in Kirkuk, und dies sei Grund ihres Handelns. Dass sich Bagdad ausgerechnet die PKK als Casus Belli ausgesucht hatte, ist wohl nicht zufällig. In Ankara wird man das mit Wohlwollen vermerkt haben.

Im Grunde ist Irakisch-Kurdistan damit nicht nur auf den Stand vor der IS-Offensive von 2014 zurückgefallen, sondern in einem noch schlechteren Zustand. Die Zentralregierung fordert nun sogar die Kontrolle über Flughäfen und Grenzen, inklusive des Grenzübergangs zur Türkei, den die Kurden seit 1991 kontrollieren. Die Kurden werden ihr Öl wohl nicht mehr in eigener Regie vermarkten können. Auf dem Öl fußt aber fast die gesamte Wirtschaft des kleinen Territoriums.

Bei allen Problemen war Irakisch-Kurdistan eine relativ sichere Region im Mittleren Osten, deren Bewohner mehr Freiheiten genossen als die der angrenzenden Regionen. Allerdings grassierten Korruption und Parteienwirtschaft, am meisten durch die Familie Barsani. Seit zwei Jahren ohne verfassungsmäßige Legitimation im Amt wollte er sein Volk erst über die kurdische Unabhängigkeit und dann am 1. November auch über seine Partei abstimmen lassen. Das nationalistische Aufbäumen hätten seinem gebeutelten Regime vielleicht noch einmal die Macht erhalten. Doch nun schein vieles für ihn, aber auch für Irakisch-Kurdistan verloren zu sein.

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