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Wie aus zwölf Zeilen über Nacht drei Zeilen werden
Nicht immer gilt das gesprochene Wort: Über Interviews, wie sie entstehen und was am Ende aus ihnen gemacht wird
Das am Mittwoch veröffentlichte Interview wäre beinahe nicht erschienen. Und zwar deshalb, weil es nur noch in Teilen das Interview ist, das tatsächlich geführt wurde. In dem Gespräch, in dem es hauptsächlich um den fragwürdigen Umgang der Buchmesse mit rechtsradikalen Verlagen ging sowie um peinliche Äußerungen der Buchmessenleitung, mit denen das Geschehen offenbar heruntergespielt werden sollte und in denen ein Vergleich von Neofaschisten mit jenen, die gegen diese protestierten, zumindest anklang (»tätliche Übergriffe zwischen linken und rechten Gruppierungen«), wurde zumindest eine Sache deutlich: Eine erkennbare politische Haltung der Buchmesseleitung zu den Umtrieben der sogenannten Neuen Rechten in den Messehallen gibt es nicht.
Das von Frau Grün am Montagmittag zugesagte, etwa viertelstündige Gespräch zu diesen Themen verlief freundlich, wenn ich auch nach und nach den Eindruck gewann, meine Fragen seien ihr unangenehm. Die eine oder andere Antwort von Frau Grün, die immerhin eine leitende Funktion bei der Frankfurter Buchmesse innehat, verriet, dass sie politische Einordnungen scheute (man sei nicht in der Position, einzelne Aussteller zu beurteilen). An anderer Stelle aber verwies sie bei den in Rede stehenden rechten Verlagen darauf, dass es sich immerhin um Publizisten handelt, deren Selbstverständnis das von geistig tätigen Menschen sei.
Das gesprochene Wort
In Deutschland verhält es sich anders als in England oder den USA. »Es gilt das gesprochene Wort«, heißt es dort. Hierzulande ist es so geregelt, dass Journalistinnen und Journalisten das geführte und druckfertig gemachte Interview ihren Gesprächspartnern noch einmal zur Ansicht vorlegen und absegnen lassen müssen. »Autorisierung« wird dieser Vorgang genannt. Diese Praxis hat zur Folge, dass Interviewte - weil sie Gesagtes hinterher doch lieber nicht gesagt haben wollen - das ihnen zur Ansicht vorgelegte Interview nicht selten in einer neuen, von ihnen selbst hergestellten Fassung »autorisieren«, d.h. sie streichen solche Passagen, die ihnen im Nachhinein peinlich sind oder sie schlecht aussehen lassen, und ersetzen sie durch andere, ihnen genehmere und oft weniger aussagekräftige. Manche Interviewpartner mildern nicht nur Aussagen ab, sie erfinden sogar neue hinzu, die im Gespräch so nie gefallen sind. Auf diesem Weg kommen auch Technokratenbegriffe und bedeutungsvoll klingende Nullwörter (»Eskalationsroutinen«) in ein Interview, die vorher nicht da waren und die ersetzen sollen, was zuvor an dieser Stelle stand. Als Redakteur hat man hinterher nur die Wahl, das geschönte Interview zu drucken, es nicht zu drucken oder es zu drucken und es zu kommentieren.
Von zwölf auf drei Zeilen gestrichen
Eine »autorisierte Fassung« des Interviews erreichte uns am Montag bis zum Abend nicht mehr, es half auch kein Verweis darauf, dass wir hier eine Tageszeitung produzieren. Zu diesem Zeitpunkt lag die Mutmaßung, dass schon eine PR-Abteilung an dem Interview sitzt, um es - sagen wir: sprachlich und inhaltlich angemessen aufzubereiten - nicht völlig fern. Die autorisierte Fassung kam schließlich einen Tag später, um 13 Uhr nachmittags. In dieser war dann eine zuvor zwölf Zeilen lange Antwort nur noch drei Zeilen lang, und dieser Drei-Zeilen-Stummel enthielt zweieinhalb Zeilen Text, die im Interview nicht gesagt worden waren. Auch die ursprüngliche Überschrift, ein Zitat aus dem Gespräch, musste dann noch redaktionell geändert werden. Denn die ursprünglich als Überschrift gewählte Passage war im Interview nun nicht mehr enthalten. Wie viel Liebe zum Text man bei der Buchmesse hat, habe ich jetzt gelernt.
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