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Die Energie der Schüchternen
Kabarettist Christian Ehring über Eiszapfen, Zynismus und Liebe im Mittelalter
Christian Ehring, was unterscheidet den Humor vom Witz?
Humor ist eine Lebenseinstellung, er hat etwas Versöhnliches. Auch bierselige Karnevalisten dürfen sich für humorvoll halten. Witz liegt in den Dingen selbst, im Widerspruch der Dinge - den man komisch oder tragisch beschreiben kann.
Eine künftige Regierungskoalition nach Jamaika zu benennen, hält er für passend: »Jamaika? Gelassene Typen mit Joints und verfilzten Haaren. Genau das kann die Koalition leisten: Merkel hat die Gelassenheit, die Grünen haben die Joints und CSU und FDP den Filz.« Oder: »Sich abgehängt fühlen und deshalb AfD wählen, das ist, als ob der Tabellenletzte aus Protest Eigentore schießt.« So Christian Ehring - er erhält am Freitag im Berliner Theater an der Parkaue den Kabarettpreis DER EDDI, benannt nach dem Satiriker Edgar Külow. Ehring, Jahrgang 1972, auch Musiker und Autor, war Ensemblemitglied im berühmten »Düsseldorfer Kom(m)ödchen«, gehört zum Team der »ZDF-heute-show« und ist Moderator von »Extra 3« (NDR). Er nannte sein jüngstes Programm »Keine weiteren Fragen«.
Würden Sie auf der Bühne gern böser sein, als es erlaubt ist?
Was wäre denn nicht erlaubt?
Das Publikum so vor den Kopf zu stoßen, dass es den Saal verlässt.
Ja, man sollte sich Mühe geben, dass die Leute bleiben - ohne sich bei ihnen anzubiedern. Sie zum Lachen zu bringen, das ist der Mehrwert, den der Komiker schafft. Selbst wenn er auf etwas so Schreckliches wie jüngst das Massaker in Las Vegas eingeht: Der Komiker muss sich überlegen, ob seine Betroffenheit es wert ist, den Beruf zu schwänzen. Ein »Titanic«-Redakteur schrieb kürzlich sinngemäß, Betroffenheit sei im Falle eines Komikers Arbeitsverweigerung.
Jeder gute Witz beruht auf einem Unglück. Wenn die alte Dame auf der Bananenschale ausrutscht, lachen wir, trotz des möglichen Beinbruchs.
Woody Allen ist erstaunt darüber, dass sich das Universum weiter ausdehnt, es aber trotzdem immer schwieriger wird, einen Parkplatz zu finden. Wir lachen unsere kosmische Einsamkeit aus, den Tod, also die Gesamtkatastrophe der Existenz.
Also jene Sinnlosigkeit, die in den Dingen des Lebens lauert.
Ein guter Witz erzählt immer auch den Schmerz, der in einer Wahrheit liegt. Alles andere liegt auf dem Niveau von Fahrstuhlmusik.
Sie sagten mal, Sie fänden es gut, wenn »plötzlich Eiszapfen von der Decke hängen«. Schrecken Sie beim Wort Zynismus zusammen?
Es taucht ja meist in einer Wortverbindung auf: zynisch und menschenverachtend. Ich weiß nicht, ob das so treffend ist. Vielleicht sollte man sich in unserer Profession nicht scheuen und an der Ehrenrettung des Begriffs arbeiten.
Inwiefern?
Was voreilig als Zynismus bezeichnet wird, hat doch etwas Positives: Es ist ein Denken am Nullpunkt der möglichen Bewertungen, es ist ein Denken gegen die Sentimentalisierung von Widersprüchen, gegen das Schönfärben.
Erschwert die gewachsene Kompliziertheit der Welt das deutliche kabarettistische Urteil?
Gewiss, aber das sehe ich nicht als Nachteil. Als ich in dem Beruf anfing, gab es unter den Kollegen kaum einen thematischen Dissens: Man wusste meist klar, gegen wen die Speerspitze ging. Heute ist das anders. Nehmen Sie allein die Frage, wie Putins Weltpolitik zu betrachten sei. Den einen wird Putin-Bashing vorgeworfen, anderen wiederum, sie gingen zu milde mit ihm um. Das Gelände ist von beträchtlichen inhaltlichen Gräben durchzogen.
Man könnte sagen: Jeder macht seins.
Ja, deshalb ist das Gespräch miteinander schwieriger geworden. Wie ja überhaupt durch Individualisierung die Bindekräfte schwinden. Wir müssen wieder lernen, einander wirklich zuzuhören und in der jeweils anderen Sicht eine Bereicherung zu sehen.
Der Journalist und Moderator Hanns Joachim Friedrichs meinte einmal, ein guter Journalist mache sich mit keiner Sache gemein, und sei es die beste. Gilt das auch für den Kabarettisten?
So radikal kann ich das auf mich nicht übertragen. Als Komiker ist man in Lob und Kritik freier als ein Journalist.
Lob? Geht das im Kabarett?
Wenn man über Bande spielt, durchaus. Man darf sehr wohl Haltung beziehen, auch wenn die sich nicht sofort offenbaren muss. Manchmal sollte man sehr kräftig Farbe bekennen! Ich habe sogar schon daran gedacht, in eine Partei einzutreten.
Guter Witz!
Ich hab’s ja nicht getan! Aber es ist bedauerlich, dass das gesellschaftliche Engagement nicht mehr in dem Ruf steht, das es verdient. Was zum Beispiel in Sozialvereinen oder Kirchengemeinden geleistet wird, das ist wahre gelebte Demokratie.
Wann haben Sie in sich das Talent zum Komischen gespürt?
Mit sechzehn, siebzehn. Ich entdeckte, was ich damals freilich nie so hätte formulieren können: den Witz als Ressource, um durchs Leben zu kommen - gerade weil ich nicht zu den Lautesten, Selbstbewusstesten gehörte.
Sie sagen, Sie seien schüchtern gewesen.
Ja, dazu noch das typische Zahnspangen-Schicksal.
Der Schriftsteller Martin Walser schrieb, der Schüchterne durchschaue die Gesellschaft am besten: »Er erfährt deren Grundgesetz am eigenen Leibe: Kein Mensch interessiert sich für den anderen, jeder interessiert sich nur für sich selbst.«
Dass Schüchterne sich nicht vordrängen, bringt sie in einen entscheidenden Vorteil: Sie hören mehr zu als andere. Die Energie der Schüchternen besteht irgendwann darin nachzuweisen, dass der Schüchterne nicht der Dümmere ist.
Haben Sie Angst, dass Ihnen irgendwann für die Bühne nichts mehr einfällt?
Es ist die kleine Furcht, die mich nach jeder Sommerpause ergreift. Die größere Angst kommt bei dem Gedanken an eine mögliche Depression oder an Schicksalsschläge, die dann die notwendige Distanz zu den Dingen nicht mehr ermöglichen. Mit steigendem Lebensalter geht einem mehr und mehr durch den Kopf, wie schnell der Boden unter den Füßen wegreißen könnte.
Was ist politische Korrektheit?
In der ursprünglichen Bedeutung eine Art von Kommunikation, welche zum Beispiel die Rechte von Minderheiten nicht verletzt. Die politische Rechte hat das umgedeutet und versteht darunter ein staatliches Verbot, bestimmte Wahrheiten aussprechen zu dürfen.
Sie haben die AfD-Politikerin Alice Weidel als »Nazi-Schlampe« bezeichnet.
Ich habe satirisch reagiert auf ihre Forderung, die politische Korrektheit auf den Müllhaufen der Geschichte zu befördern. Ich hätte Sorge, dass dann ein Klima entsteht, in dem Beleidigungen hoffähig werden. Dann ist man eben auch schnell bei: »Man wird ja wohl noch Neger sagen dürfen, mir egal, wie das andere empfinden.« In diesem Kontext fiel der Begriff »Nazi-Schlampe«.
War das politisch korrekt?
Alice Weidels Forderung entsprechend war das natürlich maximal unkorrekt.
Was macht den Menschen gut und besser: Güte oder die Erfahrung der Katastrophe?
Ich glaube an das Positive, nicht an Druck. Das erlebt jeder, der Kinder hat. Einfühlung rettet die Welt eher als Abschreckung. Uns Komikern fehlt dafür allerdings das Besteck, denn dass wir vor den Kopf stoßen, ist ja auch eine milde Form von Abschreckung, von Gewalt. Aber von der Bühne aus ist die Welt am wenigsten zu retten, und es ist auch nicht unser Auftrag.
Sie sind Vater von drei Kindern. Der Philosoph Peter Sloterdijk nennt Eltern »die letzten Traum-Politiker in dieser Welt, weil sie an der Utopie der Fortpflanzung festhalten«.
Wenn ich Kinder habe, kann ich gar nicht anders, als zukünftig denken. Wer Kinder hat, versucht, richtig und lebenszugewandt zu handeln, auch wenn es auf den ersten Blick keine Hoffnung gibt. Ja, das ist es: nicht immer gleich jene unguten Folgen mitdenken, die jedes Handeln sofort relativieren würden. Ich glaube, dass sich Umstände ändern lassen und damit auch Menschen.
Wie kommt es, dass viele Kabarettisten früher katholische Messdiener waren?
Wo es ein starkes normatives System gibt, gibt es auch die starke Tendenz, aus diesen festgezurrten Normen auszubrechen.
Sie wuchsen in Krefeld auf.
Soll das ein Vorwurf sein?
Es ist Provinz.
Vieles, was in uns knirscht und knarrt, ist Provinz. Wir bevölkern einen unbedeutenden Planeten - auf der Ebene der Galaxien sind wir totale Provinz, ein Bezirk am äußersten Spiralnebelrand.
Stimmt, da fährt keine Straßenbahn mehr hin.
Für die seelische Hygiene ist es nicht gut, die eigene Herkunft zu schmähen. Die sogenannten Problemgegenden sind die lebendigsten.
Welches Bild kommt Ihnen in den Sinn, wenn ich Sie nach Ihrer Kindheit frage?
Flache niederrheinische Landschaften, Kopfweiden, die Sonne scheint. Eine behütete Kindheit, manchmal vielleicht zu behütet.
Wieso?
Wer behütet wird, wird auch beobachtet. Wer beobachtet wird, möchte nichts falsch machen. Also macht er vielleicht gar nichts. Ich habe wenig gesprochen und war, wie schon erwähnt, sehr, sehr scheu.
Hätten Sie gern in einer anderen Zeit gelebt?
Abgesehen davon, dass ich es für ein Glück halte, in unserer Zeit zu leben: Ich hätte in vielen anderen Epochen gern gelebt - zum Beispiel im Mittelalter. Wie haben damals die Städte gerochen, ja gestunken, und welches Konzept für Liebe gab es? Ich habe eine große Neugier in die Vergangenheit hinein. Ich war leider nie in der DDR. Die einen sprechen von einem sorgenfreien Leben, andere von einer hassenswerten Diktatur. Auf jeden Fall haben die Ostdeutschen das Privileg, eine historische Bruchstelle erfahren zu haben.
Ist der deutsche Selbsthass gesund?
Gesund ist er nicht, aber wie soll man zu dieser Nation ein ungebrochenes Verhältnis entwickeln? Das gehört nun mal zu Deutschland, und ich bin in dieser Beziehung wahrscheinlich sehr deutsch.
Borussia Dortmund oder Bayern München?
Ich bin kein Fußballfan und auch sonst nicht religiös.
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