Filterblasen platzen lassen
Was tun gegen Hass und Lügen in den sozialen Netzwerken?
Die Bezeichnung IQ steht nicht nur für den Intelligenz-Quotienten, sie ist auch die Abkürzung für »Initiative Qualität im Journalismus«, die unter anderem von den beiden deutschen Journalisten-Gewerkschaften DJV und dju in ver.di sowie der ARD.ZDF.Medienakademie getragen wird. Gemeinsam will man etwa mit Fortbildungen die Qualität der Berichterstattung in den Medien verbessern, aber auch Hass und Lügen in den sozialen Netzwerken etwas entgegensetzen. Propaganda, gezielte Falschmeldungen oder persönliche Diskreditierungen sind zwar nichts Neues. Heute aber ist es über die sozialen Netzwerke viel einfacher, Lügen und Hass in Sekundenschnelle an ein Millionenpublikum zu richten. Die Menge der Falschmeldungen in den sozialen Netzen ist dabei kaum noch zu überblicken. Der Kampf dagegen gleicht einer Sisyphusarbeit.
»Es geht um das Gift der kleinen Lügen in geschlossenen Facebook-Gruppen oder auch bei WhatsApp. Da ist zum Beispiel das Bild von Menschen an einer Bushaltestelle. Drei Frauen tragen ein Kopftuch. Das ist dann der Beweis, dass wir islamisiert werden«, illustrierte Jutta Kramm vom gemeinnützigen Recherchezentrum Correctiv zu Beginn dieser Woche auf einer Tagung der IQ-Initiative in Berlin ihre tägliche Arbeit gegen solche Fake News.
Das Problem ist, dass es nicht mehr einen allgemeinen gesellschaftlichen Konsens darüber gibt, was Realität ist. Befeuert durch die rasanten Möglichkeiten der digitalen Kommunikation haben sich Subkulturen und Subgruppen gebildet, die nur ihre je eigenen Wahrheiten anerkennen. Fachleute sprechen von Filterblasen: Wer nur Katzen mag, nimmt bald nur noch Nachrichten über Katzen wahr. Oder: Wer sich von Ausländern bedroht fühlt, will bald nicht mehr wahrhaben, dass Flüchtlinge hilfsbedürftige Menschen sind.
»Es ist nicht so, dass Filterblasen im Silicon Valley erzeugt werden und von Google-Ballons irgendwo herunterfallen, sondern die werden von jedem einzelnen selber in Handarbeit gebaut«, meinte ZDF-Medienexperte Mario Sixtus. Real sei dann nur noch, was die eigene digitale Gruppe gelten lasse. Aber Journalisten müssten sich an die eigene Nase fassen. Auch in Redaktionen gebe es Filterblasen. Etwa, wenn man Politik und Gesellschaft aus der Perspektive eines bildungsbürgerlichen Publikums betrachte und weniger aus der Sicht sozial abgehängter Schichten. Oder wenn bestimmte Themen vernachlässigt würden; etwa steigende Mieten oder Altersarmut.
»Der Gedanke, dass alle anderen in der Filterblase sind, nur ich selbst als Journalist nicht, ist eine große Illusion«, ergänzte der Medienkritiker Stefan Niggemeier. Es gebe oft kein eindeutiges wahr oder falsch, sondern es gehe um die Gewichtung von Aussagen, »und oft können wir Journalisten nichts anderes machen, als andere Perspektiven zu sammeln«.
Heinrich-Maria Löbbers von der in Dresden erscheinenden »Sächsischen Zeitung« wies in der Veranstaltung auf die Notwendigkeit hin, dass Journalisten mit ihren Lesern, Zuhörern oder Zuschauern in Kontakt bleiben müssen. Sicherlich, es sei nachvollziehbar, dass Kolleginnen und Kollegen Angst vor Beschimpfungen hätten, gerade in Sachsen. »Wir versuchen aber, mit allen Leserinnen und Lesern ins Gespräch zu kommen«, erläuterte Löbbers die Strategie seiner Zeitung. »Dadurch haben wir die Chance, Redaktions- und Entscheidungsabläufe zu erklären« und damit Verschwörungstheorien entgegenzuwirken. Bei manchen bleibe das hängen und diese Leute seien dann wieder »Meinungsbildner in ihren Netzwerken.«
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