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Ein Job mit Aufstiegschancen
Auf Kirchtürmen und bei den Bären in der UNESCO-Welterbestadt Bern. Von Gabi Kotlenko
Bis zu Marie-Therese Laupers Reich sind es 222 Stufen. Zuerst schlängelt sich eine Wendeltreppe über 70 Stufen im Inneren nach oben - dann geht es an die frische Luft. Höhen- oder Platzangst sollte man dabei eher nicht haben. Dort oben über den Dächern der Schweizer Hauptstadt hat eine Frau den wohl schönsten Arbeitsplatz der Stadt. Mit einem prächtigen Blick über die Altstadt von Bern, die seit 1983 zum Weltkulturerbe der UNESCO gehört, und auf die schneebedeckten Gipfel des Berner Oberlandes. Marie-Therese Lauper ist die Turmwartin des Berner Münsters - des höchsten und schönsten Kirchturms der Schweiz. Und sie ist die erste ihrer Zunft seit 1798, die nicht da oben - 46 Meter über der Erde - wohnt. »Als ich die Aufgabe übernahm, begann gerade die Restaurierung des oberen Teils des Münsters. Der große Saal verwandelte sich in eine Bauhütte. Ab sechs Uhr morgens lärmte und staubte es«, begründete sie ihren Verzicht auf die »himmlische« Bleibe.
Vor ihrem Münsterturm-Leben war Marie-Therese Lauper Lehrerin, unterrichtete Deutsch, Schwyzerdeutsch und Deutsch für Ausländer. »Wenn ich gefragt werde, warum ich Turmwartin geworden bin, sage ich immer: Ich habe einen Job mit Aufstiegsmöglichkeiten gesucht«, lacht die 58-Jährige. »Und der war mir noch keine Sekunde langweilig. Ich hoffe, dass ich hier pensioniert werde.«
Die Münsterturmwartin ist zuständig für die Sicherheit und Sauberkeit des Turms. Sie kontrolliert Eintrittskarten, beantwortet Fragen zur Stadt und zum Münster, organisiert Führungen und unterhält sich gerne mit den vielen Besuchern aus der ganzen Welt. Doch zuweilen räumt sie auch Taubendreck weg oder befreit verflogene Vögel.
Im Durchschnitt bewegt sie sich drei- bis viermal am Tag zwischen Himmel - in 46 Meter Höhe befindet sich ihr Büro - und Erde. »Es können an gewissen Tagen auch zehnmal sein.« Sozusagen Fitnessstudio kostenlos, und das in der Arbeitszeit.
Bern ist eine Stadt, in der alles scheinbar ruhiger und gemächlicher zugeht als anderswo. »Die Schweizer haben die Uhren, die Berner haben die Zeit«, sagt man. Doch Uhren sind Zeichen der Zeit. Ein besonders schönes Exemplar ist die im Zytgloggenturm. Eine schmale steinerne Wendeltreppe führt in die Uhrenkammer. Auch hier ist Marie-Therese Lauper zweimal in der Woche anzutreffen, um die Uhr aufzuziehen. Zu jeder vollen Stunde warten dort Hunderte Schaulustige. Vier Minuten, bevor der große Zeiger auf die Zwölf rückt, beginnt ein kleines Spektakel: Flügelschlagend kräht der Hahn und kündigt den Stundenwechsel an. Dann setzt sich der Bärenumzug in Bewegung. Und der Narr läutet dazu seine Glocken.
In den Jahren 1903 bis 1905 hatte der Zytgloggenturm einen prominenten Nachbarn, der dort den Grundstein für späteren Ruhm legte. In der Kramgasse 49 wohnte der Angestellte des Berner Patentamtes Albert Einstein. Hier entwickelte der damals 26-Jährige 1905 seine Relativitätstheorie. Die Wohnung Einsteins im zweiten Stock ist heute Museum.
Der Legende nach soll der Berner Stadtgründer Berchtold V. von Zähringen gesagt haben, das erste Tier, was wir hier erlegen, soll der Stadt ihren Namen geben. Es war ein Bär, darum wurde die 1191 gegründete Stadt auf den Namen Bern getauft. In der Umfassungsmauer des alten Bärengrabens ist ein Stein eingelassen, auf welchem steht: »erst bär hie fam« (hier fingen wir den ersten Bären). Seit 1513 werden hier Bären gehalten. Und diese Tradition bescherte Peter Schlup seinen Job. Er ist der Leiter des Bärenparks, am Rande der Berner Altstadt an der Aare gelegen. Bern ohne Bären - unvorstellbar für Peter Schlup, nicht nur seiner Arbeit wegen. Auf etwa 6000 Quadratmetern wohnen im 2009 eröffneten Bärenpark Finn und Björk mit ihrer Tochter Ursina. Die hat noch eine Schwester, Berna. Als die ebenfalls 2009 geborenen Zwillinge ins Flegelalter kamen, merkten sie, dass sie zusammen stärker als die Mutter waren, und griffen sie zuweilen an. Berna, die Frechere, wie Peter Schlup betonte, musste dann 2013 den Park verlassen. Sie lebt heute in einem bulgarischen Zoo.
Der Bärenpark ist auf steilem Gelände angelegt. »Das ist sehr gut für die Tiere, da bleiben sie fit«, sagt Peter Schlup. »Der Bär ist sehr tolerant gegenüber seinem Lebensraum. Solange Futter und Winterhöhlen da sind, ist er zufrieden.« Der große Bärengraben, durch einen Tunnel mit dem Park verbunden, wird auch noch genutzt. Dorthin gehen die Bären, wenn der Park gereinigt oder Futter verteilt wird. Seit drei Jahren leitet Peter Schlup den Bärenpark, der Teil des Tierparks Dählhölzli ist. Dort bringt er als Zoopädagoge Schülern die Tiere nahe. »Ein toller Job, ich bekomme viel von den Kindern zurück«, schwärmt er.
Wer Björk, Finn und Ursina in diesem Jahr noch sehen will, muss sich beeilen. Sie bereiten sich auf den Winterschlaf vor und werden erst im März wieder aus ihren Höhlen kommen.
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