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Kältehilfe ist keine Dauerlösung
Wohlfahrtsverbände: Winterschlafplätze reichen nicht für alle Obdachlosen und helfen auch nur temporär
Rund 60 Menschen sollen derzeit wild im Tiergarten campen. Dass Wohnungslose in Parks Zelte aufschlagen, ist nicht neu. Und doch ist das Thema gerade jetzt in allen Medien. Verantwortlich dafür ist Stephan von Dassel, Bezirksbürgermeister von Mitte (Grüne). Er hatte den Tiergarten eine »rechtsfreie Zone« genannt und gefordert, »aggressive Obdachlose«, die aus Osteuropa stammen, abzuschieben. Vorausgegangen war dem der Mord an einer Frau, die auf dem Heimweg aus einem Restaurant im Tiergarten war. Als Täter gilt ein vorbestrafter 18-Jähriger. Ob er auch im Tiergarten gezeltet hatte, ist unbekannt.
Eine Abschiebung der wild Zeltenden ist allerdings gar nicht möglich. Stammen sie aus einem EU-Land, gilt für sie die Freizügigkeit: Sie dürfen sich zwecks Arbeitssuche legal in Deutschland aufhalten. Sozialleistungen stehen ihnen allerdings nicht zu. Deshalb haben sie häufig keine Bleibe und keinen Platz in der Wohnungslosenhilfe.
Rund 40 000 Wohnungslose soll es in Berlin geben, etwa 4000 bis 6000 leben auf der Straße, schätzen die Wohlfahrtsverbände. Mindestens die Hälfte seien aus Osteuropa zugereist. Die Art und Weise, wie von Dassel die Problematik zugespitzt habe, sei »sehr bedenklich«, sagte Caritas-Direktorin Ulrike Kostka am vergangenen Mittwoch Journalisten. Die Obdachlosen würden »pauschal in eine Ecke« gestellt. »Dahinter stecken aber tiefgreifende soziale Probleme.« Für jeden einzelnen der Obdachlosen müsse daher ein individueller Umgang gefunden werden. Das schaffe man am besten »über diejenigen, die schon den Kontakt haben« - nämlich Sozialarbeiter und Streetworker, die auch die Sprache der Betroffenen sprechen.
Das sind beispielsweise Mitarbeiter des Projekts »Frostschutzengel plus« von der Caritas und der GEBEWO - Soziale Dienste, die sogenannte aufsuchende Sozialarbeit leisten, also in die Parks gehen und mit den Menschen sprechen, die dort leben. Ziel müsse es sein, diese in Wohnungen unterzubringen, da sind sich Robert Veltmann von der GEBEWO und Kostka einig.
Auf dem regulären Wohnungsmarkt scheitere das meist allein daran, dass die bisher Obdachlosen kein reguläres Einkommen haben, viele hätten auch einen Eintrag bei der Schufa, sagt Samyr Bouallagui. Er ist Sozialarbeiter in der Notübernachtung des Vereins mob, der auch die Obdachlosenzeitung »Straßenfeger« herausgibt. In der Notübernachtung können die Menschen nur wenige Tage bleiben, in Ausnahmefällen sind auch mal mehrere Wochen möglich. Danach landen sie oft wieder auf der Straße.
Am 1. November startet die Kältehilfe. Dann werden die Notunterkünfte über den Winter geöffnet. Obdachlose können sich dort abends für ein freies Bett anstellen und müssen morgens wieder raus. Die 1000 anvisierten Plätze werden nicht reichen, schätzen die Wohlfahrtsverbände. Und da sie nur saisonal öffnen, sind sie auch keine dauerhafte Lösung.
Um die bemüht sich nun Sozialsenatorin Elke Breitenbach (LINKE). Bei einem Treffen mit den Bezirksbürgermeistern am Donnerstag kündigte sie eine »gesamtstädtische Lösung« an. Den Wohlfahrtsverbänden reicht das nicht. Angesichts des angespannten Wohnungsmarktes fordern sie einen Masterplan gegen den Wohnungsnotstand.
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