Düsteres Genre

«America Noir»

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.

Who Shot The Sheriff?« als Western-Ballett in Schwerin, Agatha Christies »Mord im Orient-Express« beim NRW-Juniorballett, und nun am Theater Magdeburg »America Noir« als Hommage an den »Film noir« aus den USA der 1940/50er Jahre. Ballettchef Gonzalo Galguera reizt an der Inszenierung dieses Stücks die zwielichtige Atmosphäre um desperate Figuren, Mord, realen oder geträumten, um Schuld ohne nähere Begründung und Flucht - vor echten Verfolgern oder den Qualen in sich. Seine Story knüpft der kubanische Choreograf an Musik US-amerikanischer Komponisten aus sieben Jahrzehnten. In den fünf Episoden von »America Noir«, was hier eben nicht die Hautfarbe meint, hetzt ein Mann durchs Land, auf der Suche nach einer Bindung und somit Erlösung von jenen Schuldgefühlen, ohne dass sie ihm zuteil wird.

Denn ihm lastet in nebliger Weite zur schroffen Rhythmik von Joan Towers »Tambor« eine Tote auf der Schulter. Ob er Täter ist oder sie bloß eine Versagensmetapher, bleibt in der Manier von Film noir unklar. Zwei Polizisten drangsalieren den Mann im Verhör, er kann fliehen, auch, von einer schwingenden Lampe umflackert, aus seinem inneren Gefängnis. Angst treibt ihn um. Drei Frauen begegnet er in seiner Unrast, mit keiner kommt es zu einer dauerhaften Begegnung. Erste Station ist die Scheinwelt des Films. Vor dem Standbild eines Kusses flirtet er zu jazzigen Klängen von William Grant Still mit der Diva, sie elegant tändelnd, er ein seelisch Zerrissener, der sich ihr mehr verzweifelt als begehrend nähert.

Der Traum zerplatzt ebenso wie die nächste Illusion in der nächtlichen Bläue eines Fantasieparks. Hier fährt er mit einem Cabrio ein, hier erwartet ihn eine sanfte junge Frau voller Hingabe - so sehr, dass sie ihn vor den verfolgenden Polizisten versteckt. Teilen aus Aaron Coplands »Appalachian Spring«, entstanden einst für Martha Graham, als nervösem Einstieg schließt sich ein zaghaftes Liebesduett voller Hebe-, Schleuder- und Drehformen an, dessen schmerzliches Uneinssein der Gefühle Samuel Barbers »Adagio for Strings« umflort: in Bühnenbild und Choreografie die stimmigste Episode.

Auch im hektischen New York, von Projektionen markiert, findet der Mann keine Partnerin. Inmitten uniformer, puppenhaft funktionierender Wesen, an den filmischen Meilenstein »Metropolis« erinnernd, verwickelt ihn eine Kokette ohne wirkliche Absichten in ein Werbespiel, das ihn in tiefere Unruhe stürzt. John Adams’ »Chairman Dances«, peitschend dann Philip Glass’ »The Canyon«, sie befeuern das.

Als Wahnbild bedrängen den Mann seine drei Favoritinnen und lassen ihn zwischen Gittern mit der Toten des Beginns zurück: Jedem seine Leiche auf dem Kreuz, dies die Botschaft eines gelungenen Ausflugs in düstere filmische Gefilde, virtuos neoklassisch in der Bewegungssprache, mit Andreas Loos als prägnantem Mann und der kontraststark musizierenden Magdeburgischen Philharmonie unter ihrer russischen Gastdirigentin Anna Skryleva.

Nächste Vorstellung: 12. November

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