Argentiniens Feministinnen im Aufwind

Zum nationalen Frauentreffen kamen dieses Mal mehr 70 000 Teilnehmerinnen. Sie sind Teil einer der radikalsten Strömungen im Land

  • Bettina Müller
  • Lesedauer: 3 Min.

»Ich wurde in einem patriarchalen Macho-System geboren, aber hab mich mit den Mädels zusammengetan und bin jetzt Feministin.« Dieses und andere Kampfeslieder erklangen Mitte Oktober in Resistencia, der Hauptstadt der nordöstlichen Provinz Chaco in Argentinien. Dort fand das 32. nationale Frauentreffen statt, zu dem mehr als 70 000 Frauen, Lesben, Transgender und Transvestiten aus ganz Argentinien und anderen Ländern Lateinamerikas angereist waren - Männer hatten keinen Zutritt. In 71 Workshops diskutierten sie über die unterschiedlichsten Themen, von Umweltfragen über Gewerkschafts- und Parteiarbeit, die Rolle der Frau in der Familie, über Mutterschaft, die globale Krise bis hin zu Lesbianismus und Bisexualität. Feministinnen aus Mexiko, El Salvador, Honduras, Kuba, Venezuela, Kolumbien, Paraguay, Bolivien, Brasilien, Chile und Kurdistan berichteten von den Kämpfen aus ihren Ländern. Dazu zählen Proteste gegen Landraub sowie gegen umstrittene Industrieprojekte wie geplante Mega-Staudämme in Brasilien, riesige kolumbianische Steinkohlegruben und gegen von Chemikalien verseuchte Monokulturen. Schließlich zog eine bunte, klangvolle und friedliche Demonstration durch die Stadt Resistencia, welche einmal mehr vermittelte: Die Frauen in Argentinien stehen zusammen.

Stark inspiriert von der kenianischen Frauenbewegung begannen die Argentinierinnen sich vor 32 Jahren zu organisieren. An den ersten Treffen nahmen gerade mal 1000 Frauen teil. Heute bilden die argentinischen Feministinnen eine der dynamischsten und radikalsten Strömungen im Land und sind eine Institution.

Obgleich die Frauen verschiedensten Organisationen angehören, bei einigen Themen kämpfen sie alle gemeinsam: für legale und kostenlose Abtreibung, gegen Gewalt an Frauen, Lesben, Transgendern und Transvestiten, gegen Diskriminierung in allen Bereichen des Lebens und gegen patriarchale Gesellschaftsstrukturen.

Im Argentinien von heute gibt es fast keine soziale oder politische Organisation, die nicht eine organisierte Frauengruppe hat, und das macht sich bemerkbar. So zögerten die Gewerkschaften noch, als die Frauen am 19. Oktober 2016 bereits einen ersten Generalstreik gegen den neoliberalen Präsidenten Mauricio Macri organisierten. Es waren die argentinischen Frauen, die Anstoß zum internationalen Frauenstreik am 8. März gaben, der Anklang in mehr als 30 Ländern fand. In Argentinien waren an diesem Tag mehr als 100 000 Frauen allein in der Hauptstadt Buenos Aires auf der Straße.

Doch auch wenn Männer den kämpferischen Frauen mehr und mehr Achtung entgegenbringen und wenn die Organisationen der Frauen weiter wachsen, bleibt für sie viel zu tun: Nach wie vor ist Abtreibung in Argentinien verboten, werden täglich Frauen ermordet oder entführt und enden in den Händen von Menschenhändlern, die sie zur Prostitution zwingen. Außerdem verdienen Frauen im Schnitt 30 Prozent weniger als Männer (in Deutschland sind es rund 20 Prozent), sind häufiger arbeitslos und in prekarisierten Verhältnissen beschäftigt.

Während argentinische Männer täglich etwa 3,5 Stunden für die reproduktive Arbeit aufbringen, kommen Frauen auf fünf. Haben sie Kinder, können es sogar acht Stunden Fürsorgearbeit sein, während sich der Aufwand ihrer Partner für diese Tätigkeiten auch dann kaum verändert.

Zudem sind es die Frauen, die als erste unter den neoliberalen Sparmaßnahmen und Privatisierungen im Gesundheits- und Bildungssektor leiden, wie sie die Regierung von Mauricio Macri seit ihrem Amtsantritt vor knapp zwei Jahren umsetzt.

Doch trotz alledem: der immer lauter werdende Ruf der Frauen nach Freiheit, Gleichheit und Schwesterlichkeit hat das Land erfasst und wird, so scheint es zumindest, es so schnell nicht loslassen.

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