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Aurora heißt Morgenröte

Wie ein Kreuzer der zaristischen Marine zu einem Revolutionsschiff und zu einem Denkmal wurde. Von Horst Diere

  • Horst Diere
  • Lesedauer: 3 Min.
Als im Mai 1900 auf der Neuen Admiralitätswerft von Sankt Petersburg ein Kreuzer 1. Klasse vom Stapel lief, konnte von den Tausenden, die dem festlichen maritimem Ereignis beiwohnten, niemand ahnen, dass der Name dieses Schiffes dereinst um die ganze Welt gehen würde. Benannt nach der römischen Göttin der Morgenröte, sollte »Aurora« helfen, im Fernen Osten russische Expansionsbestrebungen durchzusetzen. Im Russisch-Japanischen Krieg 1904/05 hätte der moderne Kreuzer beinahe ein vorzeitiges Ende gefunden. In der Seeschlacht bei der Insel Tsushima am 27./28. Mai 1905 sanken nahezu alle russischen Schiffe des 2. Pazifischen Geschwaders, fast 5000 Seeleute mit in die Tiefe reißend. Schwer beschädigt und unter hohen Verlusten entkam die »Aurora« nur knapp.

Ab 1907 diente sie, wieder instand gesetzt, als Schulschiff. Während des Ersten Weltkriegs übernahm sie einen Vorpostendienst im Finnischen Meerbusen. Als die Februarrevolution 1917 den Zarismus stürzte, absolvierte die »Aurora« einen Werftaufenthalt in Petrograd. Fortan waren deren Matrosen und Heizer am revolutionären Geschehen beteiligt. Die Besatzung des Kreuzers hatte, wie auf anderen Schiffen, ein Komitee gebildet, in dem die Bolschewiki bald die Mehrheit besaßen. In der Baltischen Flotte gab es im Sommer 1917 fast 4000 Bolschewiki, davon 42 auf der in Petrograd vor Anker liegenden »Aurora«. Ein Versuch des Admiralstabs, den Kreuzer nach Helsingfors (Helsinki) zu verlegen, scheiterte am Widerstand des Zentrobalt (Zentralkomitee der Baltischen Flotte/Oberster Matrosenrat). Das Revolutionäre Militärkomitee von Petrograd bedachte das Schiff sodann mit einer besonderen Aufgabe.

In der Nacht vom 6. zum 7. November 1917 brachten die Matrosen der »Aurora« die von Regierungstruppen bewachte und hochgezogene Nikolausbrücke über die Newa in ihre Hand und sicherten so den revolutionären Truppen die wichtige Verbindung zwischen der Wassiljew-lnsel und dem Stadtzentrum. Was dann geschah, war aber weniger spektakulär als in späteren verklärenden Darstellungen suggeriert. Auf Weisung des Revolutionären Militärkomitees gab das sechszöllige Buggeschütz der »Aurora« um 21.40 Uhr einen Blindschuss ab. Er sollte das Signal zum legendären Sturm auf das Winterpalais, den Sitz der Provisorischen Regierung sein. Nahezu kampflos fiel der Palast in die Hände der Aufständischen. Und die Funkstation der »Aurora« setzte die Nachricht über den Aufstand, die Bildung einer Sowjetregierung sowie das »Dekret über den Frieden« ab.

Während die Matrosen und Heizer der »Aurora« nach dem »Roten Oktober« an den vielen Fronten des Bürger- und Interventionskrieges kämpften, wurde ihr Schiff in Kronstadt konserviert. Als erstes größeres Kampfschiff einer neu aufzubauenden Roten Flotte wurde es dann 1923 wieder in Dienst gestellt, indes erneut als Ausbildungsschiff.

Als Hitlerdeutschland am 22. Juni 1941 die Sowjetunion überfiel, lag der inzwischen veraltete Kreuzer im Hafen von Oranienbaum bei Leningrad, während die Stammbesatzung gegen die Belagerer kämpfte. Die »Aurora« sank im September 1941 nach einem schweren Bombenangriff. Bereits im Sommer 1944 begann die Bergung des Kreuzers, der als Denkmal der Oktoberrevolution erhalten werden sollte. Seit 1948 liegt er am Ufer der Newa vor der Nachimow-Marine-Kadettenschule, nun wieder unter der alten Andreasflagge. Mitarbeiter des Museums haben inzwischen das Schicksal der sieben Kommandanten der »Aurora« erforscht, die Opfer von Stalins Terror wurden. Das Revolutionsschiff musste immer wieder repariert werden. Nach fast zweijähriger Restaurierung kehrte es im Juli 2016 an seinen traditionellen Liegeplatz zurück.

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