»Wir haben längst den Notstand erreicht«

Klimaforscher James Hansen kritisiert, dass die Politik dem Thema Erderwärmung zu geringe Priorität zuordnet

  • Sandra Kirchner
  • Lesedauer: 4 Min.

Sie forschen über 30 Jahre zum Klimawandel. Was hat sich verändert?
Vor 36 Jahren haben wir berechnet, dass die 1980er wahrscheinlich eines der wärmsten Jahrzehnte werden, die 90er noch wärmer werden und im 21. Jahrhundert sich die Nord-West-Passage öffnen wird und regionale Klimaextreme verstärkt auftauchen. Aber weder Wissenschaftler, noch Journalisten waren wirklich besorgt. Heute gibt es Klarheit in der Forschung.

Und die Reaktion der Regierungen?
Es ist bemerkenswert, dass sie noch heute nicht dem wissenschaftlichen Stand entspricht. Anders war es beim Ozonloch - da beendeten die Regierungen innerhalb weniger Jahre den Ausstoß von FCKW. Beim Klimawandel blieb das aus. Das ist Betrug.

Aber es hat sich doch seit der Einigung auf das Pariser Klimaschutzabkommen einiges verändert.
Die Regierungen täuschen sich immer noch selbst, wenn sie glauben, dass sie effektive Schritte eingeleitet hätten. Das Pariser Klimaabkommen basiert auf nationalen Klimazielen von 195 Ländern, die jedes Land selbst festlegen kann. Und der Vertrag bittet die Regierungen dann, sie zu verschärfen. Aber das sind keine wirklichen Verpflichtungen. Wenn ein Dutzend oder 50 Länder ihre Emissionen senken, sinkt die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen. Das hält den Preis für fossile Energien niedrig und es wird sie jemand anderes verbrennen. Man muss die Kosten für die Gesellschaft, die sie verursachen, einpreisen.

Wie stellen Sie sich das vor?
Wir haben das technologische und wissenschaftliche Potenzial für die Energiewende, aber die schaffen wir nur mit einer Abgabe oder Steuer auf CO2. Das wäre der Anreiz für Ingenieure, um saubere Energien zu entwickeln, und der Öffentlichkeit bietet es einen Anreiz, um auf ihren CO2-Fußabdruck zu achten. Die Tragödie der gesamten Klimawandelgeschichte ist, dass die erforderlichen Maßnahmen nichts kosten würden!

Wie meinen Sie das?
Studien zeigen, dass es die Wirtschaft beflügelt, wenn man Öl, Gas und Kohle mit einer grenzüberschreitenden Abgabe belegt. Das bringt Geld ein, das die Regierung an die Öffentlichkeit zurückgeben kann. Das Bruttoinlandsprodukt wächst, Ökoenergien und Energieeffizienz lassen sich besser entwickeln. Klar, dass die fossilen Konzerne die Idee gar nicht mögen. Aber unsere Regierung sagt nicht, was wir tatsächlich brauchen.

Inwiefern?
Das Klimaproblem ist durch verspätete Reaktionen charakterisiert. Wir spüren zunächst nur einen Teil der Auswirkungen durch die Treibhausgase, die schon in der Atmosphäre sind, weil die Ozeane erhebliche Mengen CO2 speichern und verzögert wieder in die Atmosphäre entlassen. Wir haben längst den Notstand erreicht und die Öffentlichkeit bemerkt das nicht. Die Politiker kommen damit durch, dass sie dem Problem geringe Priorität einräumen. In der Öffentlichkeit steht es nicht an erster Stelle.

Zumindest nicht in der Trump-Regierung.
Trump steht ganz unten auf meiner Liste. Aber ich bin auch nicht begeistert von Jerry Brown [Gouverneur von Kalifornien, d. Red.]. Er hätte weltweit etwas ändern können, wenn er als Chef der sechstgrößten Wirtschaft der Welt eine CO2-Abgabe eingeführt hätte. Stattdessen setzt er wie Europa auf ein Emissionshandelssystem. Das ist sehr unwirksam, aber es ist gut, um hinter den Kulissen Geschäfte zu machen - was Brown mit der fossilen Industrie getan hat.

Sie befürworten Atomkraftwerke im Kampf gegen den Klimawandel. Deutschland steigt wegen der Gefahr radioaktiver Verseuchung aus.
Wenn Deutschland keine Atomkraftwerke haben will, muss es keine haben. Aber es hat nicht das Recht, das den anderen 195 Staaten reinzuwürgen - Deutschland hat vor eineinhalb Jahrzehnten auf einem Klimagipfel dafür gesorgt, dass sich Atomenergie nicht als Maßnahme zur Senkung der Treibhausgasemissionen labeln lässt. Man behauptet, dass Atomenergie nicht sauber sei.

Die Gesundheitsgefahr durch Radioaktivität ist doch unbestritten.
In Deutschland ist eine Quasi-Religion entstanden, die nicht auf Fakten basiert. Über 10.000 Menschen sterben täglich aufgrund der Partikel, die durch die Verbrennung fossiler Rohstoffe entstehen. Die jüngste Schätzung der Weltgesundheitsorganisation ist noch höher. Das ist mehr als in der Geschichte der Atomenergie.

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