Nachtjagd auf Wehrpflichtige

In der Ukraine werden Kriegsdienstverweigerer mitunter in Diskotheken gesucht

  • Denis Trubetskoy, Kiew
  • Lesedauer: 3 Min.

Ende Oktober wurden die Besucher vom Jugendhub, einem Nachtclub im Zentrum Kiews, kalt erwischt. Um zwei Uhr nachts haben maskierte Polizisten, die keine Dokumente vorwiesen, den Club gestürmt - angeblich meldeten die Nachbarn mehrmals verstärkten Drogenhandel bei der Polizei an. Die Besucher wurden teils mit Gewalt durchsucht, 17 davon sind offiziellen Angaben zufolge mit Drogen erwischt worden. Solches Vorgehen der ukrainischen Behörden ist in jedem Fall fragwürdig, das Thema wäre aber vermutlich schnell erledigt gewesen, hätte es sich tatsächlich nur um Drogen gehandelt.

Doch eigentlich drehte es sich um etwas Anderes: Direkt vorm Jugendhub wurden 32 Jugendliche, angeblich Kriegsverweigerer, ins Wehramt gebracht. »Wir hatten Hinweise, dass sich in diesem Club Personen befinden, die die Wehrpflicht ignorierten«, verteidigten Vertreter des Verteidigungsministeriums die umstrittene Maßnahme. »Weil diese Personen selbst nicht zum Wehramt kommen wollten, haben wir sie dorthin gebracht.« Die Besitzer vom Jugendhub sprachen ihrerseits von der »absoluten Gesetzlosigkeit«, die in der Nacht der Durchsuchung herrschte. Auch ukrainische Menschenrechtler schlugen Alarm.

Am nächsten Wochenende, in der Nacht vom 3. auf den 4. November, wiederholte sich das Vorgehen - dismal im westukrainischen Lwiw. Die wiederum maskierten Militärs blockierten eine Ecke, in welcher sich ebenfalls einige gut besuchte Nachtclubs befinden. Schließlich wurden mit der Hilfe der Polizei die Dokumente der Jugendlichen überprüft, im Anschluss wurden Einberufungsbescheide an ausgewählte Jugendliche verteilt. Außerdem haben die Armeevertreter sowie die Polizei einige Nachtclubs betreten, wurden aber letztlich nicht reingelassen. Die Polizei bestritt die Teilnahme an den Ereignissen in der Lwiwer Innenstadt: Diesbezügliche Meldungen seien »Provokation«.

»Es handelt sich um Maßnahmen, die gesetzlich nicht verboten sind«, konterte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums die öffentliche Kritik. »Es ist kein Geheimnis, dass viele Wehrpflichtige nicht in die Armee gehen wollen. Dies ist jedoch strafbar. Mit dieser Aktion wollen wir Wehrpflichtverweigerer stimulieren, doch beim Wehramt vorbeizuschauen.« Rechtsanwalt Massi Najem, der mit seiner Firma versucht, den Betroffenen juristisch zu helfen, hat eine andere Meinung: »Wehrdienstverweigerung ist eine Straftat, das ist gar keine Frage. Aber es gibt doch zivilisierte Methoden - und die in diesem Fall eingesetzten haben mit der Einhaltung der Menschenrechte nichts zu tun.«

Wenn das Verteidigungsministerium darüber spricht, dass diese Maßnahmen nicht verboten sind, dann ist vor allem Folgendes gemeint: Die ukrainische Gesetzgebung stellt nicht ganz fest, wie genau ein Einberufungsbescheid überreicht werden soll. Diese Lücke wird von Armeevertretern trotz der großen Kritik ausgenutzt. Allerdings macht diese Rekrutierungsstrategie auch auf Personalprobleme der ukrainischen Armee aufmerksam: Offenbar läuft die reguläre Einberufung, die seit dem 1. Oktober stattfindet, deutlich schlechter als geplant. »Wir sind ganz gut aufgestellt«, heißt es aus dem Verteidigungsministerium. »Wir haben keinerlei große Probleme, lediglich kleinere je nach Region. Das Ansehen der ukrainischen Armee war noch nie so gut.«

Die Armee hat also einen Ruf zu verlieren. Sie gehört zu den wenigen staatlichen Institutionen, die ein gutes öffentliches Image haben - in den meisten Beliebtheitsumfragen schneidet sie hinter Freiwilligenverbänden und der Kirche auf dem dritten Rang ab. Angesichts des Krieges in der Ostukraine wünschen sich viele junge Männer dennoch, nicht in die Armee zu gehen - auch wenn die regulär einberufenen Soldaten gesetzlich nicht in die Kriegszone geschickt werden dürfen.

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