Jamaika muss aus der Kohle raus!

Hubert Weiger fordert ein mögliches schwarz-gelb-grünes Bündnis auf, bis 2030 aus der Kohleverstromung auszusteigen

  • Hubert Weiger
  • Lesedauer: 3 Min.
Während in Bonn die 23. UN-Klimakonferenz darum ringt, dass sich alle Staaten stärker anstrengen, um das Pariser Klimaziel einer Begrenzung der Erderhitzung deutlich unter zwei Grad Celsius zu erreichen, und sich die Weltgemeinschaft zügig von fossilen Brennstoffen verabschieden muss, scheint bei den Jamaika-Verhandlern die Zeit stehengeblieben zu sein. Sie diskutieren auf Drängen von Union und FDP allen Ernstes, ob die ohnehin zu schwachen deutschen Klimaziele nicht zu ambitioniert sind und der Kohleausstieg hinausgeschoben werden könnte.

In Deutschland ist Klimaschutz Konsens: Deutliche Mehrheiten sprechen sich in Umfragen für den Ausbau erneuerbarer Energien, das Einhalten der Klimaziele und den Abschied von der klimaschädlichen Kohleverstromung aus. Dem entspricht, dass vor der Weltklimakonferenz im Rheinischen Braunkohlerevier die größten Anti-Kohle-Demonstrationen und -Aktionen stattfanden, die es hierzulande bisher gab. Diese gesellschaftliche Ächtung einer unsere Lebensgrundlagen gefährdenden, zunehmend teuren Energieform steht in krassem Widerspruch zur politischen Lage in Berlin, wo bei den Jamaika-Verhandlungen selbst schon unter Schwarz-Gelb beschlossene Klimaziele in Frage gestellt werden.

Hallo, mögliche Koalitionäre - die Abschaltung der Kohlekraftwerke ist eine der wichtigsten Politikentscheidungen, die Sie zu treffen haben! Kohleemissionen machen ein Drittel aller deutschen Treibhausgase aus und die Kraftwerke laufen weiter auf Hochtouren. Und wenn es Ihrer Entscheidungsfindung dient: Die Bevölkerung erwartet von der neuen Bundesregierung einen Fahrplan für den baldigen Kohleausstieg. Und sie verlangt außerdem, dass die deutschen Klimaziele - zuallererst das 2020-Ziel - eingehalten werden, so wie es Kanzlerin Angela Merkel mehrfach zugesagt hat. Dies kann nur gelingen, wenn bis 2020 die alten und besonders klimaschädlichen Kohlekraftwerke vom Netz genommen werden - und zwar alle, die vor 1990 in Betrieb gingen.

Es ist für Beobachter irritierend, wie CDU/CSU und FDP die Augen vor der aufziehenden Klimakrise verschließen und sogar versuchen, mit veralteten, korrekter: Fantasiezahlen die Klimaschutzlücke für 2020 kleinzureden. Diese Lücke wird vom Umweltministerium und anderen Experten auf zwischen 100 und 120 Millionen Tonnen Kohlendioxid taxiert. Die CDU behauptet nun, es könne vielleicht nur ein Viertel davon sein - das ist höchst unseriös und für eine Partei der früheren »Klimakanzlerin« absolut unwürdig.

Eine Jamaika-Koalition, die ihre Arbeit auf falschen klimapolitischen Annahmen gründet, wäre auf Sand gebaut. Nicht nur die deutsche Bevölkerung, sondern auch die Weltgemeinschaft hat vom Auftritt der Kanzlerin in Bonn einiges erwartet. Zum Beispiel, dass sie erklärt, wie die deutschen Klimaversprechen und die zugesagte Umsetzung des Paris-Abkommens gewährleistet werden.

Noch ist der Weltklimagipfel nicht zu Ende. Klimaschützer auf der ganzen Welt hoffen - bis Freitag: Wird von Bonn aus doch noch ein Aufbruchssignal für klimafreundliches Wirtschaften und Leben ausgehen? Die Welt braucht dringend einen Neustart ins Zeitalter erneuerbarer Energien und die umfassende Kooperation aller beim Klimaschutz. Der Ausstoß an Treibhausgasen war noch nie so hoch wie heute. Es ist fahrlässig, dass viele Staaten mehr Klimaschutz auf später verschieben wollen, denn ab 2020 müssen die globalen Emissionen sinken - dies fordern die Klimawissenschaftler.

Die künftige Bundesregierung muss erklären, wie Deutschland seine Klimaziele erreicht. Auch die Kanzlerin hat sie mit beschlossen, sie hat ihr Erreichen versprochen, jetzt muss ihre Regierung auch liefern. Die EU braucht dieses Signal, damit es auf dem nächsten Klimagipfel in Katowice den erforderlichen Ehrgeiz zur Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens geben wird. Jede künftige Regierungskoalition muss die Chance auf einen Neustart der deutschen Klimaschutzpolitik ergreifen: Für eine Energiewende ohne Kohlestrom ab spätestens 2030, aber mit doppelt beschleunigtem Ausbau der Erneuerbaren und viel mehr Energieeffizienz - und einer klimafreundlichen Wende im Verkehrssektor und in der Landwirtschaft. Wer sich, wie alle Jamaika-Parteien, zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens verpflichtet, hat A gesagt. Jetzt muss Jamaika B sagen und die Kohleära in Deutschland beenden.

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