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»Krank ist man nicht nur im Winter«

Robert Veltmann fordert eine bessere Versorgung von wohnungslosen Menschen, die krank werden

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 5 Min.

Unter der Brücke am Ostbahnhof lebt seit ein paar Wochen ein Mann im Rollstuhl. Ist das nur für mich neu, oder ist die Zahl obdachloser Menschen im Rollstuhl gestiegen?
Da die Anzahl der Menschen, die auf der Straße leben müssen, in den letzten zwei, drei Jahren stark zugenommen hat, gehen wir davon aus, dass auch diese Menschen anzahlmäßig zugenommen haben. Aber wir haben das nie dokumentiert. Nur die Stadtmission hat im vergangenen Winter 18 Rollstuhlfahrer in ihren Einrichtungen gezählt. Und das ist schon neu. Früher gab es nur Einzelfälle.

Manche Rollstuhlfahrer sollen den ganzen Tag vor Notübernachtungen verbringen, bis sie abends wieder rein können. Was sagt das über die Obdachlosenhilfe in Berlin aus?
Es ist für diese Menschen extrem schwierig, sich von A nach B zu bewegen. Und die meisten Einrichtungen sind auch nicht rollstuhlgerecht. Sie haben Zugänge über Treppen und sanitäre Anlagen, die nicht für Rollstühle geeignet sind. Das zeigt: Es gibt zu wenige Angebote für wohnungslose Menschen mit einem Pflegebedarf, also auch Rollstuhlfahrer.

Wenn Obdachlose akut krank sind, können sie sich in einer von etwa zehn Ambulanzen versorgen lassen. Was sind da die häufigsten Krankheiten?
Menschen, die auf der Straße leben, haben natürlich auch Schwierigkeiten mit ihrer hygienischen Versorgung. Das heißt, sie haben sehr viele Hautkrankheiten, Infektionen, sie haben aber auch Verletzungen. Dann gibt es auch einen sehr hohen Anteil an psychischen Erkrankungen, und ebenso viele Suchterkrankungen.

Was ist mit normalen Arztpraxen? Können Obdachlose auch dort hin?
Diese Zielgruppe wird in der Hilfelandschaft als »nicht wartezimmer-fähig« bezeichnet. Wer auf der Straße lebt, verhält sich möglicherweise auffällig oder riecht. Diese Menschen sind in keinem Wartezimmer richtig willkommen. Das merken sie auch, und deshalb gehen viele von ihnen grundsätzlich nicht in Arztpraxen. Andere gehen nicht hin, weil sie keine Krankenversicherungsunterlagen haben.

Das heißt, sie sind versichert, haben aber keinen Nachweis darüber?
Genau. Nach dem deutschen Krankenversicherungsrecht darf es gar keine Unversicherten geben. Das ist die Theorie. In der Realität sollen trotzdem etwa 80 000 Menschen keine Krankenversicherung haben. Weil sie die Beiträge nicht mehr zahlen konnten oder sich längere Zeit im Ausland aufgehalten haben. Viele wohnungslose Menschen wissen gar nicht, ob sie krankenversichert sind. Dann muss erst mal geklärt werden, wie ist der Status ist.

Und wie ist das bei osteuropäischen Obdachlosen in Berlin?
Das ist doppelt so schwierig. Die Arztpraxen und Ambulanzen, die vom Land gefördert werden, dürfen nur Menschen behandeln, die einen Krankenversicherungsanspruch in Deutschland haben oder einem Staat, der Teil des Europäischen Fürsorgeabkommens ist. Alle anderen müssen wir ablehnen und an die Malteser Migrantenmedizin weiterschicken. Die sind aber in manchen ärztlichen Fachbereichen nicht gut ausgestattet und haben auch gar nicht die Kapazitäten, all diese Menschen zu behandeln.

Was ist mit Krankenhäusern?
Die nehmen Wohnungslose nur auf, wenn Leib und Leben gefährdet ist. Und dann müssen sie die Menschen auch relativ schnell entlassen. Die gehen von dem Standardkunden aus, der in eine Wohnung entlassen wird und dort auch eine ambulante medizinische Versorgung durch einen Hausarzt bekommt. Mit etwas Glück gibt es einen Sozialdienst, der bei einer Entlassung versucht, irgendwo einen festen Schlafplatz für den Wohnungslosen zu bekommen. Aber es gab es auch schon, dass einer mit einem nichtfunktionierenden Rollstuhl entlassen wurde und damit dann einfach vor dem Krankenhaus stand.

Was ist die Alternative?
Wir brauchen einen Ort mit wenigstens 20, 25 Plätzen, wo sich wohnungslose Menschen, die krank sind, auskurieren können. In so einer Krankenheilstation muss medizinische und pflegerische Versorgung geleistet werden. Sozialpädagogische Fachkräfte sollten vor Ort sein, die sich darum kümmern, dass jemand, der entlassen wird, nicht wieder direkt auf der Straße landet, sondern in eine Wohngemeinschaft oder ein Übergangswohnhaus kommt. Und das ganzjährig. Krank ist man nicht nur im Winter.

Was sagen die Politiker dazu?
Die hören sich das an. Aber das ist eben nicht ganz billig. Und es gibt auch die Forderung, dass die Krankenhäuser sich mehr um diese Menschen kümmern müssten.

In den vergangenen Wochen stand das Thema Obdachlosigkeit ja wieder stärker in der Öffentlichkeit. Gibt es positive Signale aus der Politik, Lösungen zu finden?
Es gab Gespräche mit Sozialsenatorin Elke Breitenbach (LINKE). Wir haben uns darauf geeinigt, 2018 einen Masterplan zur Überwindung von Wohnungslosigkeit zu entwickeln. Man muss das gesamte Hilfesystem noch mal unter die Lupe nehmen. Das fängt in der Prävention an, man muss Ursachenforschung betreiben, warum Menschen ihre Wohnungen verlieren, dann braucht man eine landesweite Wohnungsnotfallstatistik. Wir sehen auch einen ganz großen Bedarf an Integrationsleistungen.

Was meinen Sie damit?
Wir haben über 18 000 Haushalte, die ordnungsrechtlich in der Wohnungslosenhilfe untergebracht sind. Man gibt den Menschen ein Zimmer - aber damit ist die Wohnungslosigkeit noch nicht überwunden. Nur in wenigen Wohnheimen gibt es Sozialpädagogen, die Unterstützungsangebote machen. Das müsste man eigentlich auf die gesamte ordnungsrechtliche Unterbringung ausweiten. Viele tausend Menschen sollten eigentlich nur kurze Zeit untergebracht werden, um die Obdachlosigkeit zu beseitigen, halten sich aber dann fünf, zehn oder 15 Jahre in diesen Einrichtungen auf. Irgendwann bauen sie körperlich und psychisch so ab, dass ein Wohnungsangebot dann auch nicht mehr fruchtet.

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