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Politik mit geschönten Zahlen
Union und FDP bemühten sich, mit Hilfe veralteter Rechenspiele das Klimaschutzproblem kleinzurechnen
Zu den härtesten Brocken bei den Sondierungsgesprächen für eine Jamaika-Koalition zählte bis zuletzt der Bereich Klima und Energie. Gerade bei der zentralen Frage, wie viel Treibhausgase Deutschland einsparen muss, um seine Klimaziele für 2020 noch zu erreichen, gab es erhebliche Differenzen zwischen CDU, CSU und FDP einerseits sowie den Grünen andererseits. Das zeigte ein Papier, das den Sondierungsstand von vergangener Woche zusammenfasste.
Demnach liegt für Union und FDP die »Handlungslücke zur Erreichung des Klimaschutzziels 2020« bei 32 bis 66 Millionen Tonnen CO2. Die Grünen gehen hingegen von einer Lücke zwischen 90 und 120 Millionen Tonnen CO2 aus. Bis Sonntagnachmittag gab es dabei keine Annäherung. Diese stark differierenden Zahlen hatten Folgen für die Verhandlungen: Da Union und FDP die Lücke als relativ klein ansehen, wollen sie die Kohleverstromung bis zum Jahr 2020 nur »um höchstens drei bis fünf Gigawatt« reduzieren. Es gehe ja auch um die »Wahrung der Versorgungssicherheit«, argumentierten sie. Die Grünen strebten dagegen ein Minus von acht bis zehn Gigawatt an, was auf eine Schließung von 20 Kohlekraftwerksblöcken hinausliefe. Zudem forderten sie ein Kohleausstiegsgesetz.
Die Zahlen, mit denen Union und FDP hantierten, sind nicht nur allzu optimistisch, sie sind auch veraltet. Beschlossen wurde das Klimaziel 2020 schon vor zehn Jahren, als Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zum ersten Mal mit der SPD regierte. Anders als die FDP es derzeit darstellt, gab es damals schon einen Beschluss zum Atomausstieg, nämlich den von Rot-Grün ausgehandelten. Entgegen den Behauptungen der Liberalen, die in den Sondierungen zwischenzeitlich das Klimaziel 2020 ganz infrage stellten, kam dieses also zustande, während alle wussten, dass die Nutzung der Atomenergie in absehbarer Zeit zu Ende gehen werde.
Richtig ist aber: Das Ziel einer Emissionsminderung um 40 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 war ambitioniert - im Gegensatz zur Planung der dafür nötigen Maßnahmen. Mehrfach musste nachgesteuert werden. Ende 2014 errechnete die Bundesregierung eine Lücke von fünf bis acht Prozentpunkten oder 62 bis 78 Millionen Tonnen Kohlendioxid. Mit den bisherigen Beschlüssen würde man also nicht genug CO2 einsparen können, um das Ziel zu schaffen. Man brauchte also zusätzliche Maßnahmen. Das Bundeskabinett verabschiedete deshalb ein Klimaschutzpaket und den Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz.
Im Mai 2017 zeigte nun der jüngste Projektionsbericht der Regierung, dass auch dies nicht ausreichen wird. Demnach gab es immer noch eine Lücke von fünf Prozentpunkten. Diese Lücke könnte laut Bericht auf zwei Prozentpunkte zusammenschrumpfen, falls sich die ökonomischen Rahmenbedingungen so entwickeln würden, wie es aus Klimaschutzsicht »günstig« wäre. Also, falls die Wirtschaft in Deutschland nur schleppend wächst, die Bevölkerungszahl nicht zunimmt, die Energiepreise hoch sind und die Stromexportüberschüsse deutlich zurückgehen.
Keine dieser Entwicklungen ist eingetreten. Als das Bundesumweltministerium noch einmal mit aktuellen Daten vom ersten Halbjahr 2017 nachrechnen ließ, ergab sich sogar eine noch größere Klimaschutzlücke. Noch-Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) legte die Neuberechnung Mitte Oktober, kurz vor Beginn der Jamaika-Sondierungsgespräche, vor. Sie zeigt: Statt der bislang erwarteten oder besser gesagt erhofften Minderung um 35 bis 38 Prozent wird Deutschland bis 2020 voraussichtlich nur rund 32 Prozent schaffen. Die Lücke beträgt rund 100 Millionen Tonnen. Der Thinktank Agora Energiewende geht nach eigenen Berechnungen vom Herbst sogar von einer Lücke von 120 Millionen Tonnen aus.
Was auch immer stimmen mag: Es muss dringend nachgesteuert werden, wie auch das Ministerium in einem internen Papier empfiehlt. Andernfalls würden die bis 2030 erforderlichen Minderungen »deutlich anspruchsvoller«. Deutschland hat ja Klimaschutzziele in Etappen für 2020, 2030 und 2050 beschlossen. Zudem »wäre dies auch in Bezug auf das internationale Ansehen Deutschlands als Klimaschutzvorreiter verheerend«.
Das Sondierungspapier der Jamaika-Parteien enthielt indes auch Erfreuliches. Es gab ein eindeutiges Bekenntnis zu dem Beschlossenen: »Das Klimaschutzabkommen von Paris sowie die europäischen und nationalen Klimaziele für 2020, 2030 und 2050 gelten.«
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