LINKE fordert Neuwahlen

Parteichefin Kipping: Zeit für eine linke Alternative gekommen / FDP hatte Sondierungsgespräche abgebrochen / Grünen-Geschäftsführer spricht von »Rausstehlen aus der Verantwortung«

  • Lesedauer: 4 Min.

Berlin. Nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungsgespräche hat die Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, Neuwahlen gefordert. Es müsse jetzt »schnellstmöglich« neu gewählt werden, denn eine Fortsetzung der Großen Koalition könne sich »niemand ernsthaft wünschen«, erklärte die Politikerin in der »Berliner Zeitung«. Neuwahlen seien zudem die demokratisch angemessene Konsequenz, sagte sie. »Und sie werden zeigen, dass das System Merkel nicht mehrheitsfähig ist.« Nach dem Scheitern sei nun die Zeit für eine linke Alternative gekommen, so Kipping weiter.

Linksfraktionschef Dietmar Bartsch gab Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Mitschuld an den geplatzten Jamaika-Sondierungen. »Die Bundeskanzlerin hat die Situation in diesem Land ja herbeigeführt. Die regiert, glaube ich, seit gefühlten hundert Jahren«, sagte Bartsch am Montag im ZDF-»Morgenmagazin«. Daher müsse Merkel sich fragen: »Was habe ich damit zu tun?« Barsch sagte, in den wochenlangen Gesprächen sei über »zentrale Themen« wie Kinderarmut oder die Paradise Papers nicht gesprochen worden. Über das Aus der Verhandlungen sei er »einigermaßen entsetzt«. »Ich sehe das als eine veritable Krise in unserem Land, denn niemand weiß, wie es jetzt wirklich weitergeht.«

Die Thüringer Linkenchefin Susanne Hennig-Wellsow sieht im Fall einer Neuwahl nach dem Jamaika-Aus in Berlin die Chance für eine linke Mehrheit. »Dieses Debakel bietet trotz allem die Chance auf einen politischen Aufbruch«, sagte Hennig-Wellsow am Montag in Erfurt. Die enorme Schere zwischen Arm und Reich müsse schnellstens geschlossen werden. »Daher ist es so wichtig, in den wahrscheinlich anstehenden Neuwahlen um Mehrheiten links von der Mitte zu kämpfen«, sagte Hennig-Wellsow, die auch Vorsitzende der Linke-Fraktion im Thüringer Landtag ist.

Die FDP hat die Sondierungen in der Nacht zu Montag mit CDU, CSU und Grünen abgebrochen. Parteichef Christian Lindner begründete den Schritt damit, dass es in den gut vier Verhandlungswochen nicht gelungen sei, eine Vertrauensbasis zu schaffen. Das wäre aber Voraussetzung für eine stabile Regierung gewesen.

Lindner machte deutlich, dass die Gräben zwischen FDP und Grünen aus Sicht der Liberalen zu groß waren. Die Unterschiede zu CDU und CSU wären überbrückbar gewesen, sagte er. Hier sei neue politische Nähe gewachsen. Er wolle aber keinem der Gesprächspartner Vorwürfe machen, dass er für seine Prinzipien eingestanden sei. »Nach Wochen liegt heute ein Papier mit zahllosen Widersprüchen, offenen Fragen und Zielkonflikten vor«, betonte der FDP-Vorsitzende. Wo es Übereinkünfte gebe, seien diese mit viel Geld der Bürger oder Formelkompromissen erkauft worden. »Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.«

Zentraler Streitpunkt war am Sonntag bis zuletzt das Thema Migration. CDU, CSU und FDP wollen eine Begrenzung der Zuwanderung. Die Grünen wollten dies nicht, unterstrich CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer am Abend im ZDF. Um diesen Punkt habe es neben den Themen Klima, Energie und Finanzen die größten Diskussionen gegeben.

Die Große Koalition von Union und SPD hatte den Familiennachzug für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus 2016 für zwei Jahre bis zum März 2018 ausgesetzt. Die Grünen verlangten, dass er anschließend wieder zugelassen wird. CDU, FDP und vor allem CSU lehnten dies ab.

Die FDP hat nach Angaben der Grünen die Gespräche in dem Moment platzen lassen, als eine Einigung unmittelbar bevorstand. »Es wäre kurz vor einer Entscheidung gewesen und kurz zuvor ist die FDP weggerannt«, erklärte Grünen-Geschäftsführer Michael Kellner am Montag im ZDF-»Morgenmagazin«. »Sie haben sich ihre Jacken gepackt und sind fluchtartig rausgerannt.« Er habe schon den Eindruck, dass es ein »Rausstehlen aus der Verantwortung« war. »Wenn es mal Bewegung auf Seiten der CSU gab, dann ist die FDP in die Bresche gesprungen und hat die Fahne der CSU hochgehalten«, so Kellner. Reinhard Bütikofer (ebenfalls Grüne) schrieb auf Twitter über Lindner: »Er wählt seine Art von populistischer Agitation statt staatspolitischer Verantwortung.«

Auch die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner hat den Abbruch der Jamaika-Sondierungen durch die FDP kritisiert. Sie bescheinigte den Liberalen am Sonntagabend via Twitter »gut vorbereitete Spontanität«. »Anständig wär es gewesen, wenn alle Parteivorsitzenden gemeinsam den Abbruch hätten verkünden können«, so die rheinland-pfälzische CDU-Chefin.

Nach dem Abbruch der Verhandlungen sind nun drei Szenarien denkbar: Eine Große Koalition wäre zwar rechnerisch möglich, wird aber von den Sozialdemokraten kategorisch abgelehnt. Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz bekräftigte am Sonntag, für den Fall eines Scheiterns stehe seine Partei nicht für eine Regierungsbeteiligung zur Verfügung. »Der Wähler hat die Große Koalition abgewählt«, erklärte er.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) könnte auch eine Minderheitsregierung anführen, etwa mit der FDP oder den Grünen. Sie braucht dann aber bei Abstimmungen im Bundestag einige Dutzend Stimmen aus anderen Fraktionen. Es gilt als so gut wie ausgeschlossen, dass sich Merkel darauf einlässt.

Eine Neuwahl ist erst nach einer Kanzlerwahl möglich. Wird ein neuer Regierungschef nur mit relativer Mehrheit gewählt, kann der Bundespräsident den Bundestag auflösen. Innerhalb von 60 Tagen muss dann neu gewählt werden. Agenturen/nd

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -