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- "Cumhuriyet"-Prozess in der Türkei
55 Sekunden werden zu drei Jahren
Nelli Tügel über das Urteil gegen den »Cumhuriyet«-Reporter Oğuz Güven
Der Onlinechef der ältesten Tageszeitung der Türkei, der »Cumhuriyet«, muss für drei Jahre und einen Monat hinter Gitter. Oğuz Güven habe, so die Begründung, Terrorpropaganda für die Gülen-Bewegung betrieben und zudem PKK-Methoden legitimiert. Verhaftet worden war der Journalist im Frühjahr 2017 wegen eines Tweets, der nach 55 Sekunden wieder gelöscht wurde. Darin hieß es über den Unfalltod des Staatsanwaltes Mustafa Alper, dieser sei von einem Lkw »niedergemäht« worden.
Empörend genug, dass so etwas überhaupt justiziabel ist. Zumal, wenn man bedenkt, wie martialisch oft in der Türkei gesprochen wird. Den AKP-Granden geht die Rede vom »Säubern« und »Ausmerzen« leicht von den Lippen, dem Journalisten Güven aber wird aus einer allerhöchstens flapsig formulierten Nachricht ein Strick gedreht.
Schlimmer noch: Während wahllos Menschrechtlern, Journalisten und anderen »Terrorunterstützung« unterstellt wird, bleibt anderes ungeahndet. Wie das linke Blatt »Birgün« dieser Tage berichtete, legen Recherchen nahe, dass Sicherheitsbehörden die Selbstmordattentäter vom 20. Oktober 2015 monatelang abhörten, ohne deren Pläne zu stoppen. Den an jenem Tag in Ankara gezündeten Bomben fielen 102 Teilnehmer einer linken Demonstration zum Opfer. Mutmaßlicher Terrorbilliger: der Staat.
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