»Das Vorgehen ist skandalös und intransparent«

Die Anwältin Gabriele Heinecke prangert im Interview die Einstellung des Verfahrens zur Aufklärung des Todes von Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle an

  • Katharina Schwirkus
  • Lesedauer: 6 Min.

Warum haben Sie sich entschieden, eine Strafanzeige im Fall Oury Jalloh zu stellen?
Nicht ich, sondern die Familie von Oury Jalloh hat sich entschieden und zwar aufgrund der Informationen aus der letzten Akteneinsicht. Sie waren für die Familie Anlass, selbst durch einen Strafantrag ihr Strafverfolgungsinteresse zu betonen. Der Strafantrag wird noch im Dezember formuliert werden.

Wo geht dieser Strafantrag dann hin?
Wie die Beschwerde an die Staatsanwaltschaft.

Welches Gericht ist jetzt dafür zuständig zu entscheiden, ob das Verfahren wieder aufgenommen wird?
Aktuell kein Gericht, sondern die Staatsanwaltschaft. Wir befinden uns im sogenannten Klageerzwingungsverfahren. Wenn ein Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft eingestellt wird, haben Verletzte der Straftat oder ihre Angehörigen das Recht, dagegen Beschwerde einzulegen. Wenn die verworfen wird, kann Antrag auf gerichtliche Entscheidung bei dem zuständigen Oberlandesgericht gestellt werden. Soweit sind wir aber noch nicht.

Wenn das Verfahren wieder aufgenommen werden sollte, an welchem Gericht wird dann verhandelt werden?
Zuständig ist das Gericht des Tatortes, das ist Dessau.

Die Ermittlungen sind aber jetzt an die Staatsanwaltschaft Halle abgegeben worden, die das Verfahren auch eingestellt hat. Wie kommt das?
Es ist verwunderlich, dass die Ermittlungen in dem Moment von der Staatsanwaltschaft Dessau abgezogen werden, in dem diese Staatsanwaltschaft nach 12 Jahren erstmals die Erkenntnis hat, dass Oury Jalloh am 7. Januar 2005 von Dritten getötet worden sein könnte. Soweit von dem Generalstaatsanwalt argumentiert worden sein soll, in Halle gebe es möglicherweise mehr Ressourcen und/ oder Kompetenzen, ist das nicht nachvollziehbar. Staatsanwalt Olaf Braun aus Dessau ist seit sechs Jahren mit der Sache befasst und verfügt aufgrund seines Engagements bei der Freiwilligen Feuerwehr über einige Kompetenzen, die in Halle fehlen dürften. Wenn es noch zu einem Verfahren kommen sollte, hängt es für die örtliche Zuständigkeit des Gerichts nicht davon ab, welche Staatsanwaltschaft Sachsen-Anhalts die Anklage gefertigt hat.

Zu Beginn der Ermittlungen ging der Leitende Oberstaatsanwalt Bittmann dem Verdacht einer Selbstverbrennung nach. In einem Vermerk vom April dieses Jahres schreibt er jedoch von dem Verdacht, dass Dritte am Tod Jallohs beteiligt gewesen sein müssen. Können Sie sich erklären, wie es zu dem Meinungswandel kam?
Nachdem die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh im Jahre 2015 die Ergebnisse umfangreicher Brandversuche durch den britischen Brandsachverständigen Maxim Smirnou öffentlich präsentiert hat, hat die Staatsanwaltschaft Dessau im August 2016 einen öffentlichen Brandversuch durch eigene Sachverständige durchgeführt. Smirnou war zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Brandbild wie in der Zelle Nr. 5 nur mit erheblichen Mengen von Brandbeschleunigern herbeizuführen ist. Die Brandsachverständigen der Staatsanwaltschaft gehen nach dem Versuch im August 2016 ebenfalls davon aus, dass alle bisherigen Brandversuche keine Antwort darauf geben können, wie Oury Jalloh zu Tode gekommen ist. In der Folge hat die Staatsanwaltschaft sich mit insgesamt acht Sachverständigen – Brandsachverständige, Rechtsmediziner, Toxikologen – zusammengesetzt, um mit fachübergreifender Kompetenz neue Erkenntnisse zu gewinnen. Durch deren Stellungnahmen hat die Staatsanwaltschaft Dessau ihre Ansichten grundlegend geändert.

Zu welchem Ergebnis kommen die Experten?
Schon Anfang des Jahres 2017 sind sie überwiegend zu der Überzeugung gekommen, dass Oury Jalloh nicht selbst Feuer gelegt haben und daran gestorben sein kann. Es wird vertreten, dass Oury Jalloh schon vor dem Brand tot oder bewusstlos gewesen sein könnte. Er hatte so gut wie kein Ruß in der Lunge, kein Kohlenmonoxid im Blut, kein Noradrenalin im Urin – alles wichtige Anzeichen dafür, dass er sich überhaupt nicht lebend in einem Brandgeschehen befunden haben kann oder aber sehr schnell nach Entstehung des Brandes verstorben sein muss. Kurz nach Entstehung des Brandes gab es aber noch keine Hitze, an der er hätte versterben können. Ein wichtiges Argument ist auch, dass Oury Jalloh nicht geschrien hat. Personen, die verbrennen, erleiden unglaubliche Schmerzen und schreien stets laut.

Sind diese Erkenntnisse neu?
Nichts ganz. Im Prinzip ist alles das schon 2010 bis 2012 vor dem Landgericht Magdeburg herausgearbeitet worden. Aber das jetzige gemeinsame Konsil der Sachverständigen verschiedener Fachrichtungen hat sehr viel klarere Analysen und Einschätzungen ergeben als zuvor. Zusammen mit der Tatsache, dass es am 7. Januar 2005 in der Zelle Nr. 5 gar kein Feuerzeug gegeben hat, ergibt sich ein massiver Tatverdacht gegen Dritte, die Zugang zu der Zelle gehabt haben. Das können nach allem, was wir wissen, nur Polizeibeamte gewesen sein.

Aber es soll doch ein Feuerzeug im Brandschutt gefunden worden sein?
Das ist seit dem 10. Januar 2005 gebetsmühlenartig behauptet worden. Aber es gibt keinerlei Fotodokumentation von einem Feuerzeug im Brandschutt oder einer Brandschutttüte, obwohl es sich um das zentrale Beweismittel handelt. Auch darüber wie, von wem und wann es gefunden worden sein soll, gab es im Ermittlungsverlauf widersprüchliche Angaben. Eine Untersuchung hat ergeben, dass sich in dem von der Polizei vorgelegten zusammengeschmolzenen Kunststoffrest mit Feuerzeugrädchen ein unverbranntes Faserbüschel befand. Das bedeutet, dass der Feuerzeugrest an einer Stelle zusammengeschmolzen sein muss, an dem solche Fasern vorhanden waren. Das Faserbüschel passt aber weder zu der Kleidung von Oury Jalloh, noch zu der Matratzenhülle und auch nicht zu dem Schaumstoff der Matratze. Es passt zu gar nichts in der Zelle. Darum hält es auch die Staatsanwaltschaft Dessau für möglich, dass ein derart präpariertes Feuerzeug im Nachhinein zu den Beweismitteln gebracht worden ist.

Die Staatsanwaltschaft Halle hat trotzdem das Verfahren eingestellt. Wie kam es dazu und was kritisieren Sie an der Einstellung?
Die Begründung der Staatsanwaltschaft Halle widerspricht diametral den Einschätzungen der Staatsanwaltschaft Dessau. Die Aussagen der Sachverständigen werden von der Staatsanwaltschaft Halle in unerträglicher Weise einseitig mitgeteilt und ausgelegt. Auf eine Auseinandersetzung mit den bis ins Detail vorgetragenen Gründen der Anwälte der Familie, in denen nachgewiesen wird, das das vorgelegte Feuerzeug nie in der der Zelle war, wird völlig verzichtet. Dabei muss dies ein Kernpunkt der Aufklärung sein, wenn man der Wahrheit näher kommen will.

Wieso wurde über die Einstellung nicht ausführlich berichtet? Warum gibt es erst jetzt Proteste, die die Wiederaufnahme des Verfahrens fordern?
Weil erst mit der jetzigen Akteneinsicht all das bekannt geworden sind. Die Proteste sind doch dem Umstand geschuldet, dass der Staatsanwaltschaft Dessau nach 12 Jahren die Ermittlungskompetenz ausgerechnet in dem Moment entzogen worden ist, in dem sie begonnen hat, den Sachverhalt kritisch zu hinterfragen und einer ganzen Gruppe Sachverständiger eine klare Stellungnahme abverlangt hat. Diese Stellungnahmen lehnen ganz mehrheitlich die These von der eigenen Brandlegung durch Oury Jalloh als nicht haltbar ab. Es drängt sich auf, dass weitere Ermittlungen notwendig sind. Es besteht viel mehr als nur ein Anfangsverdacht einer Straftat zum Nachteil von Oury Jalloh.

Sie haben von den neuen Stellungnahmen der Sachverständigen vorher auch nicht erfahren?
Nein. Trotz verschiedener Anträge seit Herbst 2016 gab es erst jetzt Akteneinsicht.

Welche Fragen brennen Ihnen auf der Seele?
Ich möchte verstehen, warum Dessau das Verfahren wirklich weggenommen worden ist. Die angebliche Fürsorge für die überlastete Staatsanwaltschaft Dessau oder die angeblich höhere Kompetenz in Halle überzeugt mich nicht. Ich möchte wissen, inwieweit die Entscheidung mit dem Justizministerium abgestimmt war, möglicherweise auch mit dem Innenministerium, mit dem Staatsschutz und welche Rolle die Generalstaatsanwaltschaft in der Geschichte hat. Das ganze Vorgehen ist skandalös und intransparent.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.