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Es bleibt uns nur die Frage

Hubertus Halbfas hat ein Buch nicht nur für Religiöse geschrieben

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 4 Min.

»In diesem Buch geht es um das Selbstverständliche, das vielen nicht erreichbar ist«, beginnt Hubertus Halbfas sein Vorwort für dieses Buch. Das Selbstverständliche ist um uns herum, in uns und es ist doch manchmal so weit weg wie die Mitte der Erde, die in einer Geschichte dieser Textsammlung von einem kleinen Mädchen vergeblich gesucht wird. In insgesamt 16 Kapiteln wird anhand von Märchen, Parabeln, Gedichten und kleinen Essays das menschliche Leben ausgeleuchtet.

Hubertus Halbfas: Mehr als alles. Geschichten, Gedichte und Bilder für kluge Kinder und ihre Eltern.
Patmos Verlag, 288 S., geb., 34 €.

Die Kapitel lauten der Reihe nach: Schweigen, Hören, Sehen, Sprechen, Schreiben und Lesen, Gehen, Fragen, Sich selbst finden, Lieben, Essen und Trinken, Feiern, Mitgehen, Bebauen und Bewahren, Hüten und Pflegen; Verletzen und Heilen, Sterben, Mehr als alles. Genau genommen also sind die 16 Kapitel eine chronologische Abfolge der Stationen menschlicher Existenz - von der Stille, die uns am Anfang im Mutterleib umgibt, bis hin zu der alles entscheidenden, aber nicht letztgültig zu beantwortenden Frage, was nach dem Sterben folgt.

Das Spektrum der Autoren reicht vom griechischen Geschichtenschreiber Herodot, dem Philosophen Platon, den Brüdern Grimm, dem Märchenerzähler Hans Christian Andersen, Bertolt Brecht bis zu Schriftstellern wie Michael Ende, Alexander Solschenizyn, Fjodor Dostojewski, Astrid Lindgren und Peter Hacks sowie Theologen wie der Friedens- und Frauenaktivistin Dorothee Sölle.

Der Herausgeber des bebilderten Lesewerkes, Hubertus Halbfas, ist katholischer Theologe und als solcher vertraut mit den Tiefen und Untiefen des Selbstverständlichen, wie auch mit den Zweifeln am selbstverständlich Erscheinenden. Weil er sich von der Vorstellung eines personalisierten Gottesbildes beizeiten entfernt hat, wurde Halbfas lange Zeit von Teilen der Kirche verfemt - teilweise wird er noch heute angefeindet. Seine Interpretation von Bibelstellen als das Bemühen des Menschen, in Metaphern über Gott Trost und Hoffnung zu fassen, sorgte vor mehr als 40 Jahren für Empörung unter Gläubigen wie kirchlichen Würdenträgern. In seinem 2016 erschienenen Buch »Das Gotteshaus« spitzte Halbfas diese These noch einmal zu: »Wer nach Gott fragt, fragt nach sich selbst und nach dieser Welt.« Anders formuliert: Gott ist nicht im Himmel, sondern im Inneren eines jeden Menschen.

Um Gottessuche dreht sich sein jüngstes Buch zwar nicht explizit, doch bietet diese Sammlung von Texten zum Selber- und Vorlesen Stoff für diese Suche. Es braucht bei der Lektüre allerdings weder für Kinder noch für deren Eltern einen religiösen Hintergrund. Die Fragen und Themen, die hier abgehandelt werden, sind auch für Atheisten wichtig.

Es gibt, so betont Hubertus Halbfas, religiös Begabte und religiös Unbegabte. Die Grenze zwischen den Religiösen und denen, die sich dafür unbegabt halten, verlaufe jedoch nicht zwischen Gläubigen und Atheisten. »Es gibt fromme Atheisten und unfromme Gläubige. Man kann von Gott sprechen, zu ihm beten und meinen, dass man ihn ›im Herzen trage‹. Vielleicht ist dies aber nur erlernte Tradition, dem eigenen Nachdenken enthoben und nie davon betroffen, in welcher Weise die Auschwitz-Erfahrung das Wort ›Gott‹ in Frage stellt.« Halbfas zitiert den Auschwitz-Überlebenden Elie Wiesel, der angesichts der Dimension der Shoa einen Bruch zwischen Schöpfung und Schöpfer, zwischen dem Menschen und seiner Sprache ins Auge fasste. »Was bleibt uns dann noch?«, fragte Wiesel. »Hoffnung, Verzweiflung oder doch der Glaube?« - »Es bleibt«, so Wiesel, »uns nur die Frage«.

Hubertus Halbfas ordnet und erklärt die Geschichten, wenn nötig. Das Buch, so Halbfas’ Leseanleitung im Vorwort, soll nicht »der Reihe nach« gelesen werden, »nicht in drei Monaten, nicht in drei Jahren. Man kann damit wachsen und manches immer von Neuem bedenken. Kindern ist es zugeeignet. Erwachsenen auch.« Im Untertitel »Geschichten, Gedichte und Bilder für kluge Kinder und ihre Eltern«, nimmt Halbfas allerdings eine Einschränkung vor, die so nicht sein müsste. Nicht nur »kluge Kinder« sollten die Geschichten lesen bzw. nicht nur ihnen die Geschichten vorgelesen werden. Es gibt keine klugen und nicht-klugen Kinder. Es gibt nur kluge Kinder und Kinder, denen verboten wird, Fragen zu stellen.

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