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»Wenn Sie glauben, jetzt alles verstanden zu haben ...«

Christophe Galfard lädt zu einer verrückten und verständlichen Reise durch Raum und Zeit ein

  • Dieter B. Herrmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Kann man als Mensch einfach mal zum Mittelpunkt der Sonne reisen, um herauszufinden, wie es dort aussieht und was dort vor sich geht? Der blutigste Laie würde das als reinen Blödsinn betrachten und hat damit auch recht.

• Christophe Galfard: Das Universum in Deiner Hand.
C. H. Beck, 400 S., geb., 24,95 €.

Doch Christophe Galfard, der Autor einer »unglaublichen Reise durch die Weiten von Raum und Zeit und zu den Dingen dahinter«, lässt solche Reisen in seinem Buch »Das Universum in deiner Hand« geschehen. Durch diesen Erzähltrick lernt der Leser tatsächlich das Universum kennen und alles, was wir heute darüber wissen oder zu wissen meinen.

Es ist eine fiktionale und ungemein spannend sowie unterhaltend angelegte »Reise durch die Welt des Wissens«, die auch vor der Mikrowelt mit ihren Protonen, Quarks und Botenteilchen nicht haltmacht. Objekte, die noch niemand mit eigenen Augen gesehen hat, die wir vielmehr lediglich durch komplizierte Beobachtungen oder Experimente und deren Interpretationen erschließen, erleben wir aus der Nähe. Nicht, wie es ist, sondern, »wie es sich von der Erde aus darstellt«.

Tatsächlich entspricht das Universum an unserem Nachthimmel einer »von der Erde aus betrachteten Vergangenheit«, die umso weiter zurückliegt, je tiefer wir in den Raum schauen. Denn die »Briefe« (elektroma-gnetische Wellen), die uns von dort erreichen, sind zu ganz verschiedenen Zeiten abgeschickt worden.

Zu Beginn geht es noch harmlos zu: Wir reisen zu Mond und Sonne, also nahe gelegenen Himmelskörpern unserer kosmischen Umgebung. Doch dann beginnen die großen Trips: durch die Galaxis, hinaus zu fernen Sternsystemen und schließlich bis zum Anfang der Welt. Dass wir so viel vom Kosmos verstehen lernten, liegt an den Gesetzen, die ihn beherrschen und die überall dieselben sind.

Galfard lässt uns erfahren, woher wir unser Wissen haben und wie verlässlich es ist. Dann folgt ein Kapitel über die unserer Alltagserfahrung Hohn sprechenden Konsequenzen großer Geschwindigkeiten. Wir lernen Einsteins Relativitätstheorien kennen, fliegen an Bord einer Maschine der »Future Skies Alliance« mit annähernder Lichtgeschwindigkeit und landen nach acht Stunden Flug im Jahre 2417! Warum? Das ist spannend und einleuchtend erzählt.

Noch verrückter wird es bei der Reise durch die Quantenwelt mit ihren ganz andersartigen Gesetzen, bei denen unsere Anschauung völlig versagt und von der Nobelpreisträger Richard Feynman behauptete, »dass niemand die Quantenmechanik versteht«. Trotzdem erklärt sie viele Beobachtungen der Physiker und muss demnach wohl etwas mit Wahrheit zu tun haben.

Natürlich kommen auch Antimaterie, Schwarze Löcher, Unendlichkeit, Dunkle Materie, Multiversum, Stringtheorie und andere Zauberworte der modernen Kosmologie zu ihrem Recht. Und sogar Humor schimmert immer wieder durch, etwa wenn des Autors Tantchen aus Sydney durch die Zeilen spukt, die ihm seit Jahren hässliche Kristallvasen zum Geburtstag schenkt. Doch was es damit auf sich hat, das sollte der Leser am besten selbst herausfinden.

Jeder Versuch, unsere heutigen Vorstellungen vom Weltganzen der Mikro- und Makrowelt für Laien verständlich darzustellen, unterliegt stets der Gefahr, durch Vereinfachungen letztlich fehlerhaft zu sein. Galfard hat diese Klippe gekonnt umschifft - kein Wunder, hat er doch als Doktorand von Stephen Hawking ein tiefes Verständnis für die Probleme der modernen Kosmologie und Astrophysik erworben und - seinem Meister gleich - die Überzeugung gewonnen, auch die kompliziertesten Erkenntnisse so in der Umgangssprache übersetzen zu können, dass von deren Wesen nichts verloren geht. Dieses Buch ist der Beweis dafür.

Obschon der Autor in seinem neunzeiligen Vorwort schreibt, seine Ausführungen würden »niemanden überfordern«, könnte es doch geschehen, dass sich der eine oder andere Leser hin und wieder hintergangen fühlt. Das liegt dann aber weder am Autor noch am Leser, sondern an den gerade durchstreiften Wissenslandschaften selbst.

Auch Einstein hat das schon gewusst, als er nach einem seiner Vorträge sagte: »Wenn Sie glauben, jetzt alles verstanden zu haben, dann habe ich mich wohl nicht klar genug ausgedrückt.« Wer geistige Abenteuer liebt, sollte dieses fabelhafte Buch unbedingt lesen.

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