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Im Land der Täter

Hans-Peter Föhrding und Heinz Verfürth über die Rückkehr der Juden

  • Andreas Fromm
  • Lesedauer: 3 Min.

Gibt es so etwas wie »exterritoriale Geschichte«? Und gibt es in der neueren Geschichte der Juden in Europa so etwas wie eine »vergessene Zeit«? Die Historiker und Soziologen Hans-Peter Föhrding und Heinz Verfürth haben sich auf die Suche nach dieser begeben. Sie haben sie in Deutschland, dem gerade besiegten und durch unsägliche Verbrechen besudelten Land, gefunden. Ausgerechnet hierher, ins Land der Täter, strömten in den Jahren 1946/47 etwa 300 000 Juden aus Osteuropa. Sie flohen vor allem aus Polen vor neu ausbrechendem Antisemitismus. Alle wollten nach Palästina, in den erwarteten, noch nicht gegründeten jüdischen Staat Israel. Deutschland sollte nur eine Zwischenstation sein.

• Hans-Peter Föhrding/ Heinz Verfürth: Als die Juden nach Deutschland flohen.
Kiepenheuer & Witsch, 336 S., geb., 22 €.

Zur gleichen Zeit geisterten mehrere Millionen ehemalige Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter durch das verwüstete und besetzte deutsche Land. »Displaced Persons« (DP) wurden sie genannt. Nach alliierter Definition verstand man darunter alle, »die sich aus Kriegsfolgen außerhalb ihres Staates befinden, die zwar zurückkehren oder eine neue Heimat finden wollen, dieses aber ohne Hilfestellungen nicht zu leisten vermögen«. Sie waren zu versorgen, zu regi-strieren, zu transportieren.

Zunächst wurden sie unterschiedslos in Lagern notdürftig untergebracht. Als die Juden dazukamen, war bald klar, dass dieser Zustand unhaltbar ist. Es entstanden viele kleine und auch größere »Schtetls«, Wartesäle der ersehnten Weiterreise nach Palästina. Die Lager waren von der deutschen Bevölkerung abgeschirmt. Weder wollten die Juden mit dem Tätervolk in Berührung kommen noch die Deutschen mit ihnen.

Föhrding und Verfürth beschreiben die bislang nicht erzählte Geschichte der DP anhand des Schicksals der in Lodz geborenen Lea Waks. Sie erlitt als Kind das dortige Ghetto und floh, als nach dem Krieg Pogrome in Polen aufflammten, mit ihrer Familie panikartig nach Westen. Für alle war die amerikanische Zone das bevorzugte Ziel. Die Autoren beschreiben die wenig empathische Behandlung der jüdischen DP durch die Briten und die verständnisvollere durch die amerikanische Besatzungsmacht. Großbritannien wollte als Mandatsmacht von Palästina eine massenhafte Einwanderung dorthin verhindern.

Die prekäre und doch irgendwie von Hoffnung erfüllte Wirklichkeit in den DP-Lagern schildern die Autoren authentisch. Sie verschweigen nicht die Spannungen der DP aus Osteuropa mit den vor der Shoah zumeist »assimilierten« deutschen Juden und die Konflikte zwischen Sepharden und Aschkehasen. Lebendig schildern sie den Alltag mit religiösen Riten und eigenen Schulen, Handwerk und Schwarzmarkt, Hochzeiten und Geburten sowie manch unglaubliche Reaktionen deutscher Behörden, nachdem die Hoheit über die Lager von den Alliierten auf die BRD übertragen worden war. Das letzte Lager im bayerischen Föhrenwald wurde erst 1957 aufgelöst. Kaum eine Gedenktafel erinnert an diese Phase exterritorialer jüdischer Geschichte auf deutschem Boden.

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