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Löwe trifft Maus

Rachel Corbett erzählt mit »Rilke und Rodin« die» Geschichte einer Freundschaft«, die freilich ihre Zeit hatte

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Untertitel des aus dem Amerikanischen übersetzten Buches lautet: »Die Geschichte einer Freundschaft«. Freundschaft unter Künstlern - gibt es das überhaupt? Vielleicht. Aber eine solche scheint immer besonderen Belastungen ausgesetzt. Jeder Künstler lebt unter der Glasglocke seines Werks, er hat gern Förderer und Unterstützer in Sachen Ruhm und Geld. Doch wehe, es entsteht der Verdacht, der andere könnte der eigenen Berufung im Wege stehen! Also, Freundschaft meist nur auf Zeit, dann übernehmen Konkurrenz-Neurosen das Regiment.

• Rachel Corbett: Rilke und Rodin. Die Geschichte einer Freundschaft.
A. d. Engl. v. Helmut Ettinger. Aufbau Verlag, 379 S., geb., 25 €.

Dass es zwischen dem Bildhauer Auguste Rodin in Paris und dem in Prag geborenen Rainer Maria Rilke zu einer Begegnung kommen sollte, die zeitweise den Namen Freundschaft durchaus verdient, liegt gewiss auch am Altersunterschied. Denn wenn Rilke eines in seinem Leben strikt vermied, dann war das ein allzu enger Kontakt zu Männern, besonders den wortführenden intellektuellen Männern. Die waren ihm, dem lauschend der Stille Zugewandten suspekt. Männer sähe er nur »unverständliche Aktionen machen«, sagte er einmal, »Frauen rühren mich«. Umso erstaunlicher, dass er sich auf Rodins Nähe einließ. Aber vielleicht sah er in ihm eher eine Art Vater?

Rodin ist 35 Jahre älter als Rilke. Als dieser 1902 nach Paris kommt, den Auftrag, eine Monographie über den Bildhauer zu schreiben, in der Tasche, ist er 27 und Rodin 62. Sein Studium in München hatte Rilke eher desinteressiert absolviert, mit Lou Andreas-Salomé war er nach Russland gereist (dort hatte sie ihm den Laufpass gegeben), und in der Künstlerkolonie Worpswede hatte er sich für die malenden Männer kaum interessiert (dennoch auftragsgemäß eine Monographie abgeliefert) und sich zwischen Paul Becker und Clara Westhoff lange nicht entscheiden können - dann die Bildhauerin Clara Westhoff gewählt und sofort geheiratet. Ein Fehler, wie er sehr bald wusste. Immerhin hat Clara den Kontakt zu Rodin in Paris. Rilke lässt Frau und Tochter zurück und fährt hin.

Zu seinem Glück ist er jung genug, sich von dem älteren Mann über den Beruf des Künstlers belehren zu lassen. Bei ihm lernt er sehr schnell etwas, das bisher nicht auf seinem Weg lag: unablässige Arbeit an der Form. Der Künstler muss vor allem hart arbeiten, um ein Werk zu schaffen. Eingebung, Inspiration - alles Unsinn, man muss täglich wieder daran gehen und sich am Material abarbeiten. Eine wichtige Lehre für den oft unpässlichen jungen Dichter, der sich gerade in einer Schreibblockade wähnt. Das zählt nicht, wusste Rodin, dann schreibt er eben Briefe oder Rechnungen, wenn nicht für sich, dann für andere.

So wird Rilke tatsächlich Rodins Sekretär, wenn auch - so wird berichtet - ein miserabler. Sich in den Dienst eines anderen zu stellen, ist seine Sache nun mal nicht.

Rachel Corbett erzählt von Rodin und Rilke im Stile jener Doppelbiographien, die inzwischen aus der Mode gekommen scheinen. Aber wenn man die dramatischen Punkte findet, wo sich beider Leben ineinander verschlingen, wo etwas aufeinanderprallt, dann scheint es durchaus sinnvoll, beide Biographien aus diesen Begegnungen heraus zu schildern. Corbett entfaltet einerseits durchaus geschickt das Panorama einer Zeit im Umbruch der Jahrhundertwende, das Jahr 1900 war ein magisches. Andererseits spürt sie neuralgische Punkte in den Lebensläufen beider auf, die sie - auf Zeit - zueinander führen.

Der Bildhauer Rodin muss erst sehen lernen, so wie das Kind, das er einmal war. Seine Kurzsichtigkeit wurde erst spät bemerkt - und als sich dann der Nebel vor seinen Augen hob, war er von den plastischen Formen der Dinge so fasziniert, dass er wusste, was er werden wollte. Dennoch blieb er lange ein Außenseiter. Émile Zola war es, der ihm den Auftrag für das Balzac-Denkmal vermittelte, er brauchte dann statt anderthalb geplanten volle sieben Jahre dafür - und dann gefiel es den Auftraggebern noch nicht einmal.

Seine Sicht auf die Dichter und ihre Körper (die unförmige Masse Balzacs, das »gewaltige Monster«!) war eine durch und durch dramatische. Hier drangen die inneren Lebenswidersprüche zur äußeren Form! Was sah Rodin in dem jungen Dichter Rilke, der fast körperlos wirkte, nahm er ihn überhaupt als Dichter ernst? Rilke war sich darüber selbst im Unklaren.

Als Rodin 1917 starb, hatte sich Rilke längst von ihm emanzipiert. Rodins Unfähigkeit, in Würde zu altern, seine maßlose Gier nach immer neuen jungen Frauen, stieß ihn, der in Frauen die Seelenverwandten suchte, bloß ab. All das ist von Rachel Corbett überaus vital erzählt, auch wenn man sich an den stellenweise unbedarften Sprechgestus des Buches erst gewöhnen muss, noch mehr an die alles andere als subtilen Sprachbilder in Helmut Ettingers Übersetzung, die das Verhältnis beider Künstler so auf den Punkt zu bringen können glaubt: »Neben dem löwenartigen Rodin nahm sich Rilke aus wie eine Maus.«

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