Das Stelen-Spektakel

Zur Debatte über die Aktion des »Zentrums für politische Schönheit« gegen AfD-Politiker Björn Höcke

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 5 Min.

Der Plan des Zentrums für Politische Schönheit (ZPS) ging voll auf. Die Errichtung einer Nachbildung des Holocaust-Mahnmals auf einem Nachbargrundstück des AfD-Poltikers Björn Höcke sorgte in den vergangenen Tagen für mediales Aufsehen und teils erregte politische Debatten. Das Künstlerkollektiv hatte für diese Aktion im thüringischen Bornhagen heimlich 24 Betonstelen aufgestellt - sie sollen an das von Peter Eisenman in Berlin konzipierte Originalmahnmal mit 2711 Stelen erinnern.

»Wir wollen und können die grotesken Forderungen zur Geschichtspolitik nicht auf sich beruhen lassen«, erklärte der künstlerische Leiter Philipp Ruch zu der Aktion in einer Mitteilung. Damit bezog er sich auf Äußerungen Höckes vom Januar. Der Thüringer AfD-Vorsitzende hatte damals in seiner »Dresdner Rede« das Berliner Holocaust-Mahnmal als »Denkmal der Schande« bezeichnet und eine »erinnerungspolitische Wende um 180 Grad« gefordert. Das Künstlerkollektiv habe das Grundstück in Höckes Nachbarschaft direkt nach dessen Rede verdeckt angemietet. Die neu platzierten Stelen seien, so Ruch, wie von Höcke gefordert, um 180 Grad gewendet worden.

Das ZPS erklärte zudem, dass es seit zehn Monaten Höckes Haus in der »aufwendigsten Langzeitbeobachtung des Rechtsradikalismus in Deutschland« beobachte. Mehrere »aufschlussreiche Dossiers« würden zur Verfügung stehen. Dem lautstarken Vertreter des »völkischen Flügels« in der AfD wird ein Handel vorgeschlagen: Erst, wenn er vor dem Denkmal in Berlin oder Bornhagen auf die Knie fällt - »wie einst Willy Brandt, um für die deutschen Verbrechen des Zweiten Weltkriegs um Vergebung zu bitten« -, werde die Beobachtung eingestellt. Wenn Höcke dies verweigere, solle die Zivilgesellschaft in die gewonnen Erkenntnisse einbezogen werden. »Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.« Die Polizei prüft derzeit nach eigenen Angaben von Amtswegen, ob der Strafbestand der Nötigung oder des Stalking vorliegt. Das ZPS konterte zu dem Überwachungsvorwurf: »Gegen Nazis wenden wir nur Nazi-Methoden an.«

Die Aufstellung des Mahnmals greift den aggressiven Geschichtsrevisionismus der AfD und speziell den von Höcke sicher erfolgreich an; die Aktion verschafft zudem Genugtuung darüber, dass der vermeintliche Schutzraum von Höcke in dem ihm offenbar wohlgesonnenen Dorf ein Stück weit eingerissen wurde. Das Künstlerkollektiv attackiert die »national befreite Zone« von Bornhagen bewusst mit einer Symbolik des Erinnerns. Einige Unentschlossene konnten möglicherweise von der Gefährlichkeit der AfD überzeugt werden.

Gleichzeitig hinterlässt die Aktion einen faden Beigeschmack. Der erste Kritikpunkt bezieht sich auf eine zynische Instrumentalisierung der Shoa wie auch des Gedenkens für den Aufmerksamkeitsgewinn. Es geht dem ZPS in erster Linie nicht darum, dass sich in Bornhagen Menschen ernsthaft mit den Stelen auseinandersetzen oder dass Höcke bei der Geste des Kniefalls ehrliche Reue empfindet. Das Ziel liegt in der öffentlichen Erniedrigung des Rechtsaußenpolitikers, die in einem aufwendig produzierten Spektakel vorgenommen wird. Wie zuvor in anderen Aktionen des ZPS die Flüchtlinge, wird nun der industriell betriebene Massenmord an den Juden als dramaturgische Inszenierungsmasse, als Mittel zur Empörung, verwendet.

Sicher kann man einwenden, dass die Stelen letztlich immer nur ein Instrument waren und genau für diesen Zweck - Mahnen - geschaffen wurden. Und doch werden der intime und schmerzvolle Akt des Erinnerns und Reflektierens, wie auch die Geste des politischen Kniefalls, damit zum Event und von ihrer Bedeutung entweiht.

Es ist auch nicht das erste Mal, dass das ZPS sich für seine Kunst in fragwürdiger Weise auf die Shoa beruft. Auf seiner Webseite verfasst das Kollektiv etwa eine »Chronik des 21. Jahrhunderts«, in der sich »zwei Völkermorde in Afrika und Asien ereignen, die die Ereignisse des Holocausts in den Schatten stellen«. Merkels Forderung nach einer Flugverbotszone in Syrien wurde vom ZPS 2016 auf Twitter mit »Merkel für die Zerstörung von Krematorium 3 in Auschwitz!« kommentiert.

Der zweite Kritikpunkt bezieht sich auf das Grundkonzept der Aktion. Letztlich wird durch die Errichtung des Mahnmals vermutlich niemand aufgeklärt. Kein Mensch kann heute noch behaupten, dass er nicht wüsste, wofür die AfD und Höcke stehen - die Zeiten, in denen sich der ehemalige Vorsitzende Bernd Lucke als rebellischer Ökonom inszenieren konnte, sind längst vorbei. Das ZPS verschaffte Höcke viel mehr das, was er am meisten braucht: Aufmerksamkeit. Der - ohne Frage gefährliche - Politiker wird durch die neueste Aktion seine Rolle in der rechten Szene als Märtyrer, gegen den sich der Rest des Landes verschworen hat, festigen können. Das ZPS beteiligt sich damit an der Konstruktion von Höcke als »medialer Politdämon«, eine Figur ähnlich wie Donald Trump. Der reale Politiker erfährt damit eine Erhöhung, die seinen Einfluss wachsen lässt. Wie die Journalistin Caroline von Lowtzow richtig aufzeigt: Die spannendere Aktion wäre gewesen, die diffuse und widersprüchliche Masse der AfD-Unterstützer mit den Mitteln der Inszenierung zu erforschen. Und auch die Verantwortung der Medien bei dem Machtgewinn von autoritären Politikern zu hinterfragen.

Der dritte Kritikpunkt betrifft das offenbar unreflektierte Politikverständnis des ZPS in seinem Agieren als »zivilgesellschaftlicher Verfassungsschutz«, wie sich das Künstlerkollektiv auf seiner Webseite selbst bezeichnet. Zum einen ist nicht deutlich, was der Sinn einer Überwachung von Höckes Privathaus ist, außer - erneut - Erniedrigung. Die problematischen, öffentlichen Reden des Scharfmachers sind bestens dokumentiert. Die Erwiderung vom ZPS, dass man mit »Nazi-Methoden gegen einen Nazi« vorgehen will, mag kämpferisch klingen, steht aber im Widerspruch zum eigenen zivilgesellschaftlichen Selbstverständnis. Nicht nur wird damit das Niveau der politischen Auseinandersetzung gesenkt - es ist in gewisser Weise auch eine Beleidigung von Antifaschisten, die ernsthafte Recherchen über rechtsradikale Akteure erstellen. Die angeblich zehn Monate laufende »aufwendigste Langzeitbeobachtung des Rechtsradikalismus in Deutschland« kann so auch eher als schlechter Scherz gelesen werden. Unzählige Antifaschisten quer durch die Republik leisten seit Jahrzehnten diese mühsame, selten wahrgenommene und oft von Repressalien begleitete Arbeit.

Irritierend ist auch der Verweis auf die »Kapitulation« des Verfassungsschutzes und der positive Bezug auf den ehemaligen VS-Mitarbeiter Thomas Grumke. Dieser verteidigte in Publikationen etwa die Arbeit der Geheimdienste und beschwerte sich über die Behinderung durch Journalisten, Bürgerrechtler und Datenschützer. Als Mitautor des Buches »Verfassungsschutz« beklagte er zudem eine »gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit« gegenüber Geheimdienstmitarbeitern. Die desaströse Rolle des Verfassungsschutzes wie auch der damaligen Zivilgesellschaft in der NSU-Mordserie werden durch solche Bezugnahmen nicht nur unsichtbar gemacht, sondern im schlechtesten Falle verharmlost. Das ZPS kann mit seinem staatshörigen Weltbild einen Großteil der realen zivilgesellschaftlichen Aufarbeitung der vergangenen Jahre gar nicht durchdringen.

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