Gewerkschaftsfahnen statt Höcke

AfD-Landeschef hatte sich an Schweigemarsch von Siemens-Mitarbeitern beteiligt - IG Metall sucht nach Antworten

  • Sebastian Haak, Erfurt
  • Lesedauer: 4 Min.

Es sind Bilder, die jüngst nicht nur im Internet für einen Aufschrei gesorgt haben: Pressefotos vom MDR, die zeigen, wie Beschäftigte von Siemens in Erfurt mit einem Schweigemarsch gegen einen drohenden Arbeitsplatzabbau protestierten. Der Weltkonzern hatte angekündigt, dass er sein Generatorenwerk in der thüringischen Landeshauptstadt verkaufen oder dort zumindest Hunderte Arbeitsplätze streichen will. Die Bilder zeigen gleichzeitig auch, wie sich der AfD-Rechtsaußen-Politiker Björn Höcke an dem Protestmarsch beteiligte. Zumindest kurzzeitig.

Auf den Fotos ist zu sehen, wie Höcke und einige seiner Gesinnungsgenossen unter anderem mit einer Deutschlandfahne und AfD-Regenschirmen in der ersten Reihe des Protestzuges mitmarschierten. Sie versammelten sich dabei zeitweise hinter einem Transparent, das unter anderem auch von Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (LINKE) und Erfurts Oberbürgermeister Andreas Bausewein (SPD) getragen wurde. Innerhalb der IG Metall, sagte der thüringische Gewerkschaftsfunktionär Kirsten Joachim Breuer, sei daraufhin »ein Shitstorm« losgebrochen. »Wir wurden überhäuft mit der Frage, wie wir das zulassen konnten.«

Der Vorfall erzählt viel davon, wie der Populismus der AfD funktioniert; dass er nicht nur im politischen Raum ein Problem ist - und dass es nicht die eine Strategie gibt, mit der dagegen anzukommen ist.

Denn tatsächlich hatte sich die AfD vor dieser Demonstration ziemlich eindeutig auf die Seite der Konzernlenker geschlagen und damit bewiesen, dass die rechtsradikalen Populisten sich die Welt immer genau so machen, wie sie ihnen gefällt: Im Landtag hatten ihre Vertreter kurz vor dem Schweigemarsch noch erklärt, es sei eine »unternehmerische Entscheidung«, wie Siemens mit seinen Standorten und damit auch mit seinen Beschäftigten umgehe - auch wenn es für den Einzelnen wohl schmerzhaft sei, sich auf dem Arbeitsmarkt neu orientieren zu müssen. Solche Sätze, sagte der Gewerkschafter Breuer, seien »ein Faustschlag ins Gesicht der Beschäftigten« gewesen. Bei der IG Metall ist Breuer zweiter Geschäftsführer der Geschäftsstelle Erfurt.

Dass Höcke und die Seinen nach dieser Erklärung dann überhaupt bei dem Schweigemarsch auftauchten, war deshalb für die Gewerkschafter eine Überraschung. Es erklärt teilweise, warum die Bilder entstehen konnten. Denn offenbar war der Schock bei den IG-Metallern so groß, dass sie gar nicht so schnell reagieren konnten, wie die Pressefotos entstanden. Was Breuer jedoch nicht zum Anlass für Medienkritik nimmt. Es sei schließlich Aufgabe der Journalisten, über das zu berichten, was vor Ort geschehen sei. Und dazu habe die Teilnahme von Höcke in den ersten Minuten des Zuges gehört.

Hätten die Gewerkschafter also die Rechtsradikalen von der Demonstration ausschließen sollen? Sofort? Sowohl Breuer als auch der stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes im Bezirk Hessen-Thüringen, Sandro Witt, verteidigten die Entscheidung, dies nicht getan zu haben. Man sollte ihrer Ansicht nach Höcke kurz gewähren lassen und ihn dann mit Hilfe von jungen Gewerkschaftern aus dem Demonstrationszug drängen. Beide argumentierten, Höcke formal von der Demonstration auszuschließen, hätte einen Eklat provoziert, den sie ihm nicht gönnen wollten. So habe man damit wenigstens den ganz großen Erfolg dieser AfD-Instrumentalisierung verhindern können. Auch wenn er sich selbst »maßlos« darüber ärgert, dass es diese Bilder gegeben hat, sagt Breuer.

Richtig, so beide, sei es hingegen gewesen, dass die Gewerkschafter noch während der Demonstration deutlich gemacht hätten, dass die AfD die Nöte der Siemens-Beschäftigten zu instrumentalisieren versuche und dass die IG Metall und der DGB dies nicht zulassen werden - auch wenn es in den Unternehmen und in den Gewerkschaften im Freistaat AfD-Anhänger und Sympathisanten gibt.

Breuer und die LINKE-Vorsitzende in Thüringen, Susanne Hennig-Wellsow - die inzwischen drei Jahre Erfahrung im Umgang mit der AfD im Landesparlament hat -, sagten aber auch, dass es Alternativen dazu gebe, die AfD auf Demonstrationen der Gewerkschaften zu dulden. Man müsse in jedem Einzelfall entscheiden, welche dieser Alternativen die richtige sei, sagte Hennig-Wellsow. »Denn immerhin ist die AfD gesellschaftliche Realität.«

Die eine Geht-immer-Alternative, die Breuer in Zukunft grundsätzlich möglich machen will: Sich vor die AfD-Anhänger stellen, wenn sie wieder versuchen, das Schicksal der Siemens-Beschäftigten oder anderer Arbeitnehmer für ihre Zwecke zu nutzen - damit nicht wieder Bilder entstehen, die einen falschen Eindruck vermitteln. Dazu, sagte Breuer, werde er bei IG-Metall-Demonstrationen in Zukunft immer ein paar zusätzliche Fahnen im Kofferraum seines Autos haben. Einige Gewerkschafter müssten dann nur noch bereitstehen, um diese vor Höcke in die Kameras der Pressefotografen zu halten.

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