»So geht sächsisch nicht!«

Der Freistaat hat den bundesweit schlechtesten Betreuungsschlüssel - das soll sich ändern

  • Harald Lachmann
  • Lesedauer: 4 Min.

»So geht sächsisch«, bewirbt sich der Freistaat seit Jahren selbst. Man preist sich als »Land der Macher«. Doch sächsische Macher ganz anderer Couleur konterkarieren nun diesen Slogan: »So geht sächsisch nicht!« steht auf ihrer Internetseite »die-bessere-kita.de«. Sie nennen sich bescheiden Graswurzelinitiative und könnten ihr Motto doch noch deutlich höher hängen: »So geht Deutschland nicht!« Denn was das Bündnis aus Eltern, Pädagogen, Sozialarbeitern sowie der Liga der freien Wohlfahrtspflege in Sachsen bewirken will, berührt bundesweite Missstände. So existiert zwar inzwischen ein Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz, aber selbst dort, wo geeignete Einrichtungen entstanden, gibt es noch viel zu selten das Fachpersonal hierfür.

Der »Markt für ErzieherInnen« sei in den Ballungsräumen »deutlich angespannt«, beobachtet etwa Professor Thomas Rauschenbach vom Deutschen Jugendinstitut in München. Wem die Wortwahl zu kühl-kapitalistisch klingt - immerhin geht es um kleine Kinder - liegt genau richtig. Denn wie sonst eher bei qualifizierten Ingenieursstellen üblich, sucht manche Stadt Kita-Fachkräfte sogar schon mittels Headhunter. Oder sie organisiert Werbe-Events an pädagogischen Fachschulen. Auch untereinander räubern Kommunen inzwischen Personal. Zudem wird etwa mit »Ballungsraumzulagen« gelockt - selbst in der Provinz.

Doch insgesamt fehlt es an leistungsgerechter Bezahlung, einer wesentlichen Stellschraube zur Problemlösung. Oftmals mangelt es auch an zeitgemäßen Betreuungsschlüsseln oder der Anerkennung mittelbarer pädagogischer Arbeit. Und das obwohl laut dem Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bundesweit 40 000 Erzieherinnen und Erzieher sowie 25 000 Tagesmütter und -väter fehlen. Da die meisten Kitas von Kommunen betrieben oder finanziell gestützt werden, funktioniert ausgerechnet hier Kapitalismus nicht: Man zahlt meist unflexibel nach öffentlichem Tarif, statt bei Mangel wirklich spürbar etwas draufzulegen. Hier versagt quasi der »Markt«. Mehr noch: Gemeinnützige Träger wie die Berliner Fröbel-Gruppe, die 125 Häuser für Knirpse ganz in Deutschland betreibt, dürfen selbst intern nicht die Erziehergehälter über die kommunalen Tarife anheben: Damit verlören sie ihre öffentlichen Zuschüsse.

Sachsen liefert zu alldem ein besonders trauriges Kapitel. Das Land hat den bundesweit schlechtesten Betreuungsschlüssel im Kitabereich und rangiert auch beim Personalschlüssel auf dem vorletzten Patz aller 16 Länder, knapp vor Mecklenburg-Vorpommern. Dabei sei »genug Geld vorhanden«, sagte der SPD-Landtagsabgeordnete Mario Pecher jüngst bei einem Besuch im AWO Kinderhaus »Kuschelkiste« in Zwickau. Schließlich flossen allein in die besagte Imagekampagne schon über 32 Millionen Euro, etwa für Großplakate, wie toll Sachsen sei.

Doch seit drei Jahren formiert sich nun Widerstand, teils mit großen Protestveranstaltungen quer durch das Land. »Allein von diesen Millionen hätte man mehr als 200 ErzieherInnen fünf Jahre lang beschäftigen können«, sagt Jens Kluge. Er ist Leiter der Zwickauer »Kuschelkiste« und zugleich Sprecher jener sächsischen Initiative, die nun die Aktion »Die bessere Kita« anschob.

Die Initiative hat sich zum Anliegen gemacht, der frühkindlichen Bildung in Sachsen endlich den »ihr zustehenden Stellenwert zu erkämpfen«. Auch Sachsens LINKE unterstützen seit langem dieses Vorhaben. Im Vorfeld der Gründung des Bündnisses waren mehrere Landtagsabgeordnete neun Tage lang auf Kita-Tour durch den Freistaat gegangen, um »für eine solidarische Finanzierung der Kitas« werben, so Marion Junge, die zuständige Sprecherin der Linksfraktion. Die Ergebnisse dieser »Bestandsaufnahme zur Situation in den sächsischen Kindertageseinrichtungen« flossen danach in die Landtagsarbeit ein.

Zu den Kernzielen, die das Kita-Bündnis nun in konzertierten Aktionen gegenüber dem Kultusministerium in Dresden durchsetzen will, gehört etwa, dass pro Erzieherin beziehungsweise Erzieher wöchentlich vier Stunden Vor- und Nachbereitungszeit angerechnet werden. Zudem fordern die Aktivsten eine Landesstrategie zur Gewinnung, Bindung und Qualifizierung von Fachkräften sowie einen deutlich verbesserten Personalschlüssel. In der Krippe soll er bis 2020 bei nur noch vier Kindern (bisher sechs) je pädagogische Kraft liegen, im Kindergarten bei zehn (bisher 13) und im Hort bei 16 Kindern (bisher 20). Auch Ausfallzeiten - etwa Praxisanleitungen, Qualifizierung, Krankheit, Urlaub - sollen auf diesen Schlüssel angerechnet werden.

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