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HIV ist therapierbar - es fehlt an Aufklärung

Auch hierzulande fehlen vielen Menschen Informationen über HIV und Aids

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 4 Min.

Ganze zwei spezialisierte Einrichtungen für die medizinische Versorgung von HIV-Infizierten und Aids-Kranken hat das Land Brandenburg: eine Infektionsambulanz in Potsdam sowie eine spezialisierte Praxis bei Schönefeld. Das ist jedoch angesichts der vielen Angebote in Berlin kein allzu großes Problem. HIV-Positive gehen im Schnitt einmal im Quartal in eine der Schwerpunktpraxen, ihre Laborwerte werden geprüft und sie bekommen ihre Medikamente verschrieben. Sabine Frank von der Aids-Hilfe Potsdam erinnert jedoch an die 340 Menschen, die nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts in Brandenburg mit dem HI-Virus leben, aber nichts davon wissen. Deutschlandweit sind 12 700 Menschen in dieser Situation.

Die diplomierte Sozialarbeiterin weiß, dass viele Brandenburger gerade aus kleineren Kommunen für den HIV-Test Berlin vorziehen, weil sie sich durch die Anonymität der Großstadt besser geschützt fühlen. »Vor allem die ältere Generation ist für uns schwieriger zu erreichen«, berichtet Frank. Sie arbeitet seit 1995 für die Aids-Hilfe Potsdam und bemerkt, dass die Älteren frühere Risikosituationen oft verdrängt haben. Erst wenn sie mit Folgekrankheiten zum Arzt gehen oder ins Krankenhaus müssen, kommt es zur Diagnose. »Das ist leider sehr spät, weil das Immunsystem dann schon gelitten hat.« Auch deshalb lädt ihre Einrichtung in Potsdam zweimal im Monat zu anonymen Tests ein. Der erste Termin gehört dabei den Männern, die Sex mit Männern haben, der zweite Termin allen anderen.

Die Aids-Hilfe Potsdam e.V. begrüßt es, dass Bewegung in den Markt der Prophylaxemedikamente gekommen ist. Die bislang nur auf Privatrezept erhältlichen Wirkstoffe sollen dank der Initiative eines Kölner Apothekers mit dem Unternehmen Hexal zu einem Bruchteil des bisherigen Preises angeboten werden können. Das ist möglich, weil die an dem Projekt bislang etwa 60 beteiligten Apotheken bundesweit die Wirkstoffkombination von Emtricitabin und Tenofovir in Tablettenform je Patient individuell verpacken. Der Preis einer Monatsration beträgt 50 Euro, bisher kostet diese Menge sonst knapp 500 Euro. Es gibt acht Hersteller. Auch Ratiopharm hat diese Woche angekündigt, die Kombination für die Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) preiswerter anzubieten, und zwar für 69,90 Euro im Monat.

Die PrEP-Einnahme ist aber kein einfaches Tablettenschlucken - bei der Verschreibung muss ausgeschlossen werden, dass der Patient schon HIV hat, eine umfangreiche Beratung erfolgt und auch Laborwerte müssen weiter regelmäßig kontrolliert werden, da die Nieren anfällig für Nebenwirkungen sind. »Dennoch muss die Erfahrung mit dem Projekt der Apotheker auch dazu führen, dass bald die Verschreibung als Kassenleistung geprüft wird«, kommentiert Frank. »Wer wollte, hat sich die Mittel schon über den Graumarkt aus Großbritannien besorgt, auch dort sind sie preiswerter als bislang in Deutschland.« Die Aids-Hilfe Potsdam, so die Sozialarbeiterin, könnte für schwierige Fälle auch Mittel aus dem eigenen Nothilfefonds für die PrEP aufwenden. Vielleicht wird das aber bald nicht mehr nötig sein. In Großbritannien wurde im Zusammenhang mit der PrEP-Zulassung ein Rückgang der Neuinfektionen beobachtet. In Deutschland hingegen stagniert die Zahl, wenn auch auf niedrigem Niveau. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts steckten sich 2016 rund 2500 Männer und 570 Frauen mit dem Immunschwächevirus an.

Frank beobachtet vor allem bei Jüngeren ein Bedürfnis nach Sicherheit und Wissen. Deshalb würden auch die anonymen Tests der Aids-Hilfe oft in Anspruch genommen, zumal innerhalb von 30 Minuten ein Ergebnis vorliegt. Bei Gesundheitsämtern, Ärzten und Kliniken dauert es einige Tage. Die meisten Diagnosen würden jedoch immer noch bei Ärzten und in Krankenhäusern gestellt. Auch deshalb gab es gerade eine gemeinsame Aktion mit der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg, bei der Informationsmaterial sowohl für Warteräume als auch für die Mediziner selbst verteilt wurde.

Unter den Ratsuchenden in Potsdam sind in den vergangenen Jahren immer mehr Menschen mit Migrationshintergrund. In den Erstaufnahmeeinrichtungen oder Wohnheimen wird bei Bedarf schon fast routinemäßig der Kontakt zur Aids-Hilfe hergestellt. Auch in den Selbsthilfegruppen haben sich betroffene Flüchtlinge eingefunden, ebenso bei den Frühstücksangeboten zweimal im Monat. Frank und ihre beiden Kollegen klären da auch Probleme mit Ämtern und begleiten ihre Klienten zum Rechtsanwalt, wenn es um Aufenthaltsgenehmigungen geht.

Immer noch hat die Aids-Hilfe jedoch mit Sprachlosigkeit und Diskriminierung von Infizierten zu kämpfen. Das sei besonders zu bemerken, wenn Menschen ihre Diagnose erfahren, so Frank. Dann gibt es Gesprächsbedarf, etwa dazu, ob Meldepflichten bei Arbeitgebern oder für Kinder in Kitas und Schulen existieren, oder wie die Familie vor Ansteckung geschützt werden kann. Für die Zukunft wünscht sich Frank, dass das Tabuthema HIV/Aids in der Gesellschaft offener behandelt wird - »wie andere Krankheiten auch«. Informationen sind eine Grundvoraussetzung: »Viele wissen heute noch nicht, dass Infizierte unter der antiretroviralen Therapie nicht mehr ansteckend sind. Und dass sie mit der HIV-Infektion auch alt werden können.«

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