Die Optionen werden immer knapper

Den Auftakterfolg bei der Handball-WM in Leipzig müssen die deutschen Frauen teuer bezahlen. Kim Naidzinavicius reist verletzt ab

Michael Biegler ist ein Freund klarer Worte. Der 56-jährige Bundestrainer vom Typ Kauz nutzt nie versteckte Botschaften, sagt klar, was er meint. Daran durften seine Zuhörer bei der Pressekonferenz nach dem WM-Auftaktsieg der deutschen Handballerinnen am Freitagabend in Leipzig aber doch mal zweifeln. Denn einer dieser Zuhörer war Kameruns Trainer Jean Marie Zambo, der direkt neben Biegler saß. »Danke für dieses harte Auftaktspiel«, hatte Biegler zu ihm gesagt. Es klang nach einer Floskel, die sonst immer ausdrückt, wie schwer ein Sieg erkämpft worden war. Doch Bieglers Blick besagte anderes. Dieses »harte« Spiel hatte ihn geschockt zurückgelassen, weshalb sein Dank nun ziemlich sarkastisch klang.

Nicht einmal drei Minuten hatte es im Spiel zuvor gedauert, als die euphorische Stimmung in der Leipziger Arena in Entsetzen umgeschlagen war. Die deutsche Aufbauspielerin und Abwehrstütze Kim Naidzinavicius wurde nach einem harten Zusammenprall mit einer Gegnerin mit Kreuzbandriss im linken Knie vom Feld getragen. »Das hat uns alle geschockt«, sagte Biegler später. Viel mehr kam an diesem Abend nicht mehr über seine Lippen.

Das Foul war nicht überhart gewesen, manch andere danach schon. Vanesse Medibe erhielt später sogar die Rote Karte für einen üblen Schlag ins Gesicht von Lone Fischer. Biegler wollte niemandem offen Absicht unterstellen - auch seine Spielerinnen nicht. »Kamerun spielt einen ganz anderen Handball. Die machen manchmal Bewegungen, mit denen keine von uns rechnet«, sagte Isabell Klein.

Dass die deutsche Mannschaft mit 28:15 (12:7) gegen den Außenseiter gewonnen hatte, schien kaum jemanden zu interessieren. Damit hatten schließlich alle 6000 Zuschauer in der ausverkauften Halle gerechnet. Das WM-Aus für Naidzinavicius wog daher allemal schwerer. Offensiv können Anna Loerper und Kerstin Wohlbold die 26-Jährige aus Bietigheim vermutlich ersetzen, defensiv aber musste Nadja Mansson einspringen, die selbst noch mit den Folgen eines ausgekugelten Fingers laboriert. Mit der 21-jährigen Alicia Stolle nominierte Biegler am Sonntag vor dem zweiten Gruppenspiel gegen Südkorea (nach Redaktionsschluss) daher eine weitere abwehrstarke Spielerin nach. Nun bleiben dem Bundestrainer im gesamten Turnierverlauf nur noch drei personelle Optionen im Kader: zwei Wechsel und das Vervollständigen mit einer auf dann 16 Spielerinnen. Da Jungstar Emily Bölk auf alle Fälle noch nachrücken soll, bleibt kaum noch Spielraum.

Die Verletzungsmisere hatte bereits vor dem ersten Anpfiff begonnen. Bölk war kurz vor dem Turnier umgeknickt, Xenia Smits, die gegen Kamerun kurz eingesetzt werden konnte, hatte sich den Finger gebrochen und ebenso nicht die komplette WM-Vorbereitung mitmachen können wie Loerper (Muskelfaserriss) und Saskia Lang, die noch Knieprobleme beklagt. Ganz zu schweigen vom wohl schmerzlichsten Ausfall: Anne Hubinger sollte eigentlich für die wichtigen Tore aus dem Rückraum sorgen. Viele Spielzüge waren eigens auf sie zugeschnitten, doch Ende September kugelte sich die 24-Jährige im Training vor den Augen aller Mitspielerinnen das Sprunggelenk aus: Mittelfußbruch, Knochenabsplitterung, alle Bänder gerissen. Kein Wunder also, dass Biegler beim Anblick von Naidzinavicius’ Verletzung in Leipzig nach nur 140 Sekunden die Arme in die Luft warf, als wollte er fragen: Womit haben wir das nur verdient?

Kapitän Anna Loerper versuchte in all dem noch einen positiven Silberstreif auszumachen. »Ich bin mir sicher, dass uns das als Mannschaft nur noch mehr zusammenschweißen wird«, sagte sie trotzig. Der Zusammenhalt in der Mannschaft war aber schon vorher groß. Und ab einem bestimmten Punkt kann man nur mit Charakter nicht mehr jeden Ausfall wettmachen. Das deutete sich schon gegen Kamerun an, denn kaum ein Tor viel aus dem Rückraum, von dort also, wo Hubinger und Naidzinavicius nun so schmerzlich vermisst werden.

Der einzige Lichtblick blieb das Ergebnis. Die Mitfavoriten Niederlande, Frankreich, Schweden und Dänemark verloren allesamt am Samstag ihre ersten Gruppenspiele. Immerhin war Loerper, Biegler und Co. dieser Schock erspart geblieben.

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