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  • Stolpersteine in Berlin

Neukölln ersetzt Stolpersteine

Die ersten zwei der gestohlenen Mahnmale wurden in der Hufeisensiedlung verlegt

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 4 Min.

Drei Wochen lang fehlte er im Gehweg vor dem Haus von Stanislaw Karol Kubicki in der Onkel-Bräsig-Straße im Neuköllner Stadtteil Britz: der Stolperstein zum Gedenken an seinen Vater Stanislaw Kubicki, der Anfang der 1940er Jahre von den Nazis verhaftet und hingerichtet worden war.

Vor genau vier Wochen, am 5. November, entwendeten Unbekannte den Stein. Auch sechs weitere Stolpersteine wurden aus den Gehwegen in der Hufeisensiedlung gestohlen. Die Polizei geht von einem politischen Motiv im Zusammenhang mit dem 9. November aus, dem Gedenktag an die Opfer der Reichspogromnacht von 1938. Die Nachbarschaftsinitiative »Hufeisern gegen Rechts« schloss die Löcher nach der Tat provisorisch mit Erde, legte vor den betroffenen Häusern Blumen nieder, stellte Kerzen auf und legte erklärende Tafeln dazu. Auch diese wurden mehrfach entfernt und wieder ersetzt.

Am Montag wurden die ersten beiden der gestohlenen Steine neu verlegt. An der Gedenkfeier für Stanislaw Kubicki nahm auch dessen 91-jähriger Sohn teil. »Mein Vater war für mich ein Vorbild«, sagte er vor den Zuhörern: Nachbarn, Schüler einer nahen Schule, Journalisten und eine Reihe von Lokalpolitikern. »Der Stein war eine tägliche Erinnerung an dieses Vorbild«, ergänzte er. Es freue ihn, dass der Stein nun ersetzt werde.

Nicht nur in der Hufeisensiedlung, auch in anderen Britzer Straßen wurden Anfang November Stolpersteine gestohlen. Insgesamt 16 Gedenksteine an 13 Orten wurden entwendet. Die Initiative »Hufeisern gegen Rechts« geht davon aus, dass die rechte Szene dahintersteckt, die in der Gegend besonders stark vertreten ist und im vergangenen Jahr wieder häufiger Anschläge auf Antifaschisten verübt hat.

Nach Bekanntwerden der Diebstähle rief die Nachbarschaftsinitiative zu Spenden auf, um die Steine schnellstmöglich zu ersetzen. Mehr als 11 000 Euro kamen zusammen - wesentlich mehr als notwendig. Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) freute sich auf der Gedenkfeier über das »überwältigende zivilgesellschaftliche Engagement«. Am 9. November habe der Bezirk versprochen, schnell neue Steine zu verlegen, um »deutlich zu sagen: so nicht«, sagte Giffey. Das sei Dank der Spenden nun möglich. »Wir könnten damit über 40 weitere Steine verlegen.« Der Bezirk habe sich entschieden, mit dem übrigen Geld einen schulpädagogischen Erinnerungsfonds aufzulegen. Projektgruppen an Schulen, die sich mit dem Nationalsozialismus befassen und einen Stolperstein verlegen wollen, sollen die dafür notwendigen Gelder aus dem Fonds beantragen können.

Doch zunächst sollen die 16 gestohlenen Steine neu in die Gehwege gesetzt werden. Außer dem Mahnmal für Kubicki wurde am Montag auch eines für Hans-Georg Vötter verlegt. Am Dienstag sollen im Rahmen von Gedenkfeiern die Steine für Wienand Kaasch, Gertrud Seele und Heinrich Uetzfeld folgen. Am Mittwoch werden Gedenkfeiern für Rudolf Peter und Georg Obst abgehalten und auch für sie neue Stolpersteine verlegt. Die übrigen fehlenden Steine folgen später. Damit sie künftig nicht mehr gestohlen werden können, werden sie in ein Betonfundament eingelassen.

Die 16 ursprünglichen Steine wurden bisher nicht gefunden. Ende November hatten zwei Taucher an zwei Stellen im Fennpfuhl in Britz nach den kleinen Mahnmalen gesucht - »leider erfolglos«, wie eine Polizeisprecherin sagte. Die Taucher hätten aufgrund der schlechten Sicht den Grund mehr oder minder mit den Händen abtasten müssen, so die Sprecherin. Die Polizei hofft weiter auf Hinweise aus der Bevölkerung.

Die Stolpersteine sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig. Seit 25 Jahren verlegt er dort, wo Menschen von Nationalsozialisten verfolgt wurden, kleine Betonquader mit einer Messingplatte, auf der der Name und das Schicksal der Betroffenen eingraviert ist. Vor dem letzten frei gewählten Wohnort der Verfolgten verlegt er die Stolpersteine in den Gehweg, um an ihr Schicksal zu erinnern. Sie gelten als das größte Flächendenkmal Europas. 120 Euro kostet eines der in Handarbeit gefertigten Mini-Denkmäler. Getragen werden die Kosten meist von Initiativen und Vereinen, teilweise auch von den Angehörigen selbst. Manchmal übernehmen auch die Bewohner der jeweiligen Wohnhäuser die Kosten. Die Verlegung der Steine organisiert in Neukölln das lokale Heimatmuseum.

Demnig zufolge wurden von den insgesamt rund 63 000 verlegten Steinen bisher etwa 600 gestohlen.

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