Tag der Entscheidung
Am Dienstag verkündet das IOC, ob Russland bei Olympia dabei ist
Man meint es nur gut: Im Russischen Haus der Wissenschaft und Kultur direkt auf Berlins Friedrichstraße wird am Montagvormittag Einweihung gefeiert. Mit Folkloretänzen und Kunsthandwerkvorführungen wird im Erdgeschoss des einstigen sowjetischen Vorzeigebaus das »WM-Fanzentrum« 2018 eröffnet - ein Anlaufpunkt für alle deutschen Fans, die in Russland zur WM erwartet werden. Den Fans soll geholfen werden: Wie komme ich an ein Visa? Wie reise ich durchs Land? Wie funktioniert der Fan-Pass namens »Fan-ID«?
Von 300 000 Kartenanfragen beim Weltverband FIFA berichtet Denis Mikerin, Sekretär der Russischen Botschaft. »Die WM 2014 in Brasilien haben 58 000 Deutsche mit Eintrittskarte besucht, wir gehen 2018 von viel mehr Besuchern aus.« Die deutschen Fans werden 2018 die größte Gruppe der WM-Besucher bilden.
Doch die erhoffte WM-Euphorie, die spätestens mit der großen Auslosungsgala am vergangenen Freitag im Kreml-Palast an Fahrt gewinnen sollte, will außerhalb Russlands noch immer nicht ausbrechen. Stattdessen hängt über den beiden Weltsportgroßereignissen des Jahres 2018 das Damoklesschwert einer Dopingsperre: An diesem Dienstag um 19.30 Uhr will das Internationale Olympische Komitee (IOC) in Lausanne verraten, welche Konsequenzen es aus dem russischen Dopingskandal ziehen wird, den Sonderermittler Richard McLaren im Auftrag der Welt-Antidoping-Agentur WADA ausführlich beschrieben hatte.
Laut McLaren sollen von 2011 bis 2015 etwa 1000 Sportlerinnen und Sportler vom Dopingsystem profitiert haben. Das IOC muss nun entscheiden: Dürfen russische Wintersportler trotz des staatlich orchestrierten Dopings 2014 bei den Olympischen Winterspielen im Februar in Pyeongchang antreten?
Alles hängt von der Empfehlung im Bericht der IOC-Disziplinarkommission des Schweizers Samuel Schmid ab: Das fünfköpfige Gremium unter Leitung des Alt-Bundesrates hatte zu untersuchen, ob und wie staatliche Behörden in Russland am systematischen Doping beteiligt waren. Bis gestern Nachmittag waren keinerlei Details aus dem Bericht Schmids öffentlich geworden, so dass weiterhin munter spekuliert wurde, wie die insgesamt 14 Mitglieder der IOC-Exekutive entscheiden werden.
Eine »milde« Strafe wie die Zahlung von 100 Millionen Dollar oder auch ein Komplettausschluss der Russen von den Spielen - allerlei Sanktionen scheinen im Bereich des Möglichen zu liegen, je nachdem, welchen Experten man befragt. Kreml-Sprecher Dimitri Peskow bestritt am Montag zumindest, die Russen würden einen Boykott in Erwägung ziehen: »Darüber wird nicht beraten«, so Peskow gegenüber TASS. Alexander Schukow, Präsident des Russischen Olympischen Komitees, hatte da vor ein paar Tagen noch ganz anders geklungen, als er sagte, ein Start unter neutraler Flagge sei ausgeschlossen. Auch Präsident Wladimir Putin soll eine solche Lösung ohne eigene Flagge als »Erniedrigung des Landes« bezeichnet haben.
Die »New York Times« und der russische Whistleblower Grigori Rodtschenkow, ehemals Leiter der Antidopinglabore in Moskau und Sotschi, veröffentlichen derzeit häppchenweise neue Ungeheuerlichkeiten, die von russischer Seite beharrlich bestritten werden. Am Sonntag hatte Rodtschenkow in einem Interview berichtet, er habe bei den Olympischen Winterspielen 2014 vom stellvertretenden Sportminister Juri Nagornych die Anweisung erhalten, die Probe einer ukrainischen Biathletin gezielt zu verunreinigen, um damit eine Sperre der Athletin zu provozieren. Der Chemiker Rodtschenkow sagt, dies sei ihm zu weit gegangen. Er habe den Auftrag abwenden können - mit dem Hinweis, so eine Manipulation sei nachweisbar. Russlands Vizeregierungschef, der frühere Sportminister Witali Mutko, wies alle Vorwürfe Rodtschenkows zurück. »Er ist heute ein Instrument, das gekonnt gegen Russland eingesetzt wird«, so Mutko.
Rodtschenkow hatte zuletzt auch behauptet, er verfüge über Material, dass die russische Fußballnationalmannschaft belaste. Alexander Sorkow, stellvertretender Generalsekretär des Russischen Fußballverbandes RFS, bestritt am Montag am Rande der Eröffnung des Berliner WM-Fanzentrums auch dies: »Unsere Fußballer wurden und werden sehr ernsthaft regelmäßigen Tests unterzogen. Was Rodtschenkows Ankündigungen betrifft, bleibe ich cool.«
Dass die Schmach einer Nichtteilnahme sich gerade in jenem Jahr abspielen könnte, in dem Russland sein internationales Ansehen mit der Ausrichtung der Fußball-WM in elf russischen Städten mehren will, lässt die Gastgeber des Fußballturniers an eine politische Inszenierung glauben: So sagte RFS-Vize Alexander Sorkow gegenüber »nd«, er habe keinen Zweifel, dass die neuerlichen Aussagen Rodtschenkows, der in den USA im Zuge eines Zeugenschutzprogrammes abgetaucht ist, ganz »gezielt an solchen schicksalhaften Tagen« wie vor dem IOC-Entscheid und rund um die WM-Auslosung in der »New York Times« veröffentlicht würden: »Aber wir sehen das ganz entspannt«, behauptete Sorkow.
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