Amazon drängt auf den Frischemarkt

»Aktion Agrar« warnt vor Auswirkungen auf Landwirtschaft und Regionalvermarktung

  • Haidy Damm
  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin, Potsdam, München und Hamburg – in diesen vier Städten liefert Amazon seit diesem Jahr auch frische Lebensmittel. Gleichzeitig weitete der Onlinehändler auch sein Non-Food-Sortiment aus. Seinem Ziel, das Geschäft zu sein, »in dem man alles findet, was man nur kaufen möchte«, scheint Firmengründer Jeff Benzos damit wieder einen Schritt näher gekommen zu sein.

»Damit ist ein Konzern in den Lebensmittelhandel eingestiegen, der schwer berechenbar und für sein aggressives Marktverhalten bekannt ist«, kritisierte Jutta Sundermann von der Organisation »Aktion Agrar«. Der Zusammenschluss aus Umweltorganisationen und Landwirten, der sich für eine Agrarwende einsetzt, protestierte am Mittwoch vor dem Logistikstandort Bad Hersfeld mit Schlitten und Weihnachtsmännern, um auf ihre Kampagne »Weihnachten ohne Amazon« aufmerksam zu machen.

Der Ruin vieler kleiner Buchläden verheiße nichts Gutes für die Landwirtschaft und die Lebensmittelbranche. So befürchten die Organisatoren, dass der Druck auf Erzeuger zunimmt und damit eine Gefahr für die bäuerliche Landwirtschaft darstellt. Sundermann verwies auf Erfahrungen in den USA, wo Amazon im Juni für 13,7 Milliarden Dollar (12,5 Milliarden Euro) die weltgrößte Biomarktkette Whole Foods Market übernommen hatte. Als erste Maßnahme habe der Onlineriese die Produktpreise um rund 40 Prozent reduziert. Zwar sei noch nicht klar, ob diese Einsparungen an die Erzeuger weitergegeben würden, aber deren »Sorge sei groß«, so Sundermann. Auch der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) warnte kürzlich vor einer übermäßigen »Marktmacht durch Amazon«.

Zudem nehme die Lebensmittelverschwendung zu. So berichten Essensretter aus Berlin, die bei Supermärkten nicht verkaufte Ware abholen und weitergeben, dass bei der Bio-Lebensmittelkette Basic seit dem Einstieg bei Amazon fresh massiv mehr Lebensmittel weggeworfen werden.

»To be amazoned«, zu deutsch etwa »amazonisierte Betriebe«, ist im englischsprachigen Raum bereits eine Umschreibung für klassische Läden, die von Amazon bedroht sind. »Es gibt viele Händler, die schlechte Erfahrungen mit Amazon gemacht haben«, sagt auch Sundermann. In München etwa wirbt Amazon auch mit Produkten aus »Lieblingsläden der bayerischen Landeshauptstadt wie Dallmayr oder ZimtschneckenFabrik und beliebte bayerische Marken«. Gerade das Konzept »regionale Lieblingsläden« sei für Anbieter gefährlich, warnt die Aktion Agrar. »Amazon hat die ausgefeilteste Online-Bestell-Software und Logistik und ist sehr erfolgreich bei der Kundenbindung«, so Sundermann. Seine Handelspartner allerdings seien austauschbar, das habe der Konzern immer wieder gezeigt. Da das Internet aber auch eine wichtige Rolle für moderne Direktvermarktung von der regionalen Biokiste bis hin zu lokalen Onlinemarktplätzen spiele, befürchtet sie, dass diese von Amazon an die Wand gedrängt werden. »Wir warnen vor Allianzen«, erklärte unlängst auch der Gewerkschafter Thomas Voß, der bei ver.di für den Versand- und Onlinehandel zuständig ist. »Amazon sucht keine Partnerschaften auf Augenhöhe, sondern Unterordnung.«

Der Vorteil, sein Sortiment in möglichst alle Warenbereiche auszuweiten, liegt für Amazon auch in der Sammlung von Daten. Je umfassender die Kunden ihren Bedarf über Amazon decken, desto mehr Daten bekommt der Konzern und desto zielgerichteter wird die Werbung. Über die sogenannte Kundenschnittstelle weiß Amazon, wer in einem Haushalt wohnt, wie hoch das Einkommen ist und welches die Kaufpräferenzen der Familienmitglieder sind. Bei jedem Einkauf kann so Werbung für weitere Produkte gemacht werden: Ist das zuletzt gekaufte Shampoo nicht langsam alle? Oder soll es vielleicht das neue Buch der Lieblingsautorin sein?

Noch macht der Onlinehandel nur rund ein Prozent der Lebensmittelkäufe hierzulande aus. Langfristig könnte dieser Anteil laut Analysten auf zwischen 15 und 20 Prozent steigen. Der Kampf um die Marktanteile hat bereits begonnen, denn die großen Supermarktketten, die bisher 85 Prozent der Lebensmittel vermarkten, wollen Amazon das Feld nicht einfach überlassen.

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