Ein Platz zum Wärmen
Obdachlose finden Hilfe in der Magdeburger Bahnhofsmission
Jeder Sitzplatz in der Magdeburger Bahnhofsmission ist belegt an diesem regnerischen Morgen. Die vorwiegend Männer essen hastig oder schlafen für ein paar Minuten am Tisch ein. Eine Gruppe unterhält sich lautstark. Draußen zeigt das Thermometer vier Grad, hier drin gibt es heiße Getränke zum Aufwärmen. Kaffee und Tee. Für den kleinen Hunger belegte Brötchen und Backwaren für einen geringen Obolus. Zwei Mitarbeiter hinter der Theke begrüßen die Schlangestehenden mit Vornamen. Im Haus an Gleis 5 finden Obdachlose und sozial Schwache zumindest für kurze Zeit einen Platz zum Wärmen und für nette Gespräche. In der von der katholischen Wohlfahrtsorganisation Caritas getragenen Bahnhofsmission gibt es keine Schlafplätze, aber viele hilfreiche Angebote für Obdachlose. So können sie ihre Wäsche waschen und erhalten Anziehsachen.
Mehr als 60 Menschen kämen täglich hierher, schätzt ein Mitarbeiter. Sie kämen auch aus der Umgebung, aus Wanzleben, Schönebeck oder Staßfurt. Nicht in jeder Stadt gebe es Notunterkünfte oder Hilfsangebote.
Wie viele Obdachlose in Sachsen-Anhalt in Unterkünften für Menschen ohne Wohnung unterkommen, ist schwer zu beziffern. Die Erfassung ist Aufgabe jeder einzelnen Kommune. Nach Angaben des Sozialministeriums können sich Menschen bei drohender Wohnungslosigkeit mit ihrer Meldebescheinigung und Personalausweis oder Reisepass an das Sozialamt vor Ort wenden.
In Magdeburg mit seinen rund 240 000 Einwohnern steht eine Unterkunft mit 88 Plätzen zur Verfügung. Obdachlose Familien, alleinlebende Männer und Frauen sowie Kinder und Jugendliche aus einem Familienverbund kommen hier unter. 188 Menschen waren es bis Oktober, wie Stadtsprecherin Kerstin Kinszorra sagt - 30 mehr als im gesamten Vorjahr. Trotz steigender Aufnahmezahlen habe man keine Notwendigkeit gesehen, die Kapazität zu erhöhen. Im Gegenteil: Weil die Auslastung mit im Schnitt 60 Prozent gering war, wurden 2013 zwei Unterkünfte zu einem Standort zusammengelegt.
Das enge Zusammenleben bleibt nicht ohne Probleme. »Die Belegung erfolgt in 2- bis 4-Bett-Zimmern, so dass ein Rückzug in eine alleinige Privatsphäre kaum möglich ist«, sagt Kinszorra. So komme es zu Spannungen unter den Bewohnern und zu Konflikten mit Mitarbeitern. Alkohol, Drogen oder andere Rauschmittel sind in der Einrichtung verboten.
Die Unterbringung soll vorübergehend sein - eine maximale Aufenthaltsdauer gibt es nicht. Das Nutzungsrecht endet allerdings erst, wenn die Obdachlosigkeit abgewendet ist. Droht eine Wohnungslosigkeit, etwa aus Miet- und Energieschulden, vermitteln fünf Betreuer und eine Sozialpädagogin und bieten Betreuung an.
»Obdachlose entsprechen nicht mehr der typischen Vorstellung vom Trinker mit der Bierflasche in der Hand. Die Leute werden jünger und konsumieren zunehmend Drogen«, so ein Mitarbeiter des Magdeburger Sozialamtes. Kinszorra sagt: Mit dem Angebot könnten sich Betroffene orientieren und die persönlichen Verhältnisse ordnen. Das schließe auch Einkommenssicherung und Therapiemaßnahmen ein.
In Quedlinburg wurde die städtische Obdachlosenunterkunft wegen zu geringer Auslastung geschlossen. Wohnungslose werden in Mietwohnungen untergebracht, sagt Wolfgang Scheller vom zuständigen Fachbereich. Nur zwei oder drei Obdachlose seien aktuell in der 25 000 Einwohner-Stadt im Harz registriert. »Frauen und Männer werden in Zwei- und Drei-Raum-Wohnungen voneinander getrennt untergebracht.« In Quedlinburg geht man mit dem Thema offen um: »Warum sollen wir diese Menschen an den Stadtrand verdrängen?« In Innenstadtnähe blieben sie besser integriert. Einen weiteren Schritt geht Halle. In fünf angemieteten Wohnungen sollen junge Erwachsene beim Projekt »Wohntraining« an das eigenständige Wohnen herangeführt werden, wie Sprecher Drago Bock sagt. Auf 240 000 Einwohner kämen 150 Plätze für Obdachlose im »Haus der Wohnhilfe«, zusätzliche 28 in einem Notquartier. Auch in Halle betreibt die Kirche eine Bahnhofsmission. dpa/nd
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