Der Egoismus fehlt noch

Die deutschen Handballerinnen sind bei der Heim-WM bisher recht erfolgreich, hadern aber mit verpassten Chancen

Ein 24:9 als Spielergebnis bei einer Handball-Weltmeisterschaft ist Ausdruck einer klaren Angelegenheit. Für eine Mannschaft muss so ziemlich alles gut und für die andere alles schlecht gelaufen sein. Nach der Partie zwischen China und Deutschland konnte man anhand einiger Bemerkungen der Beteiligten aber ins Grübeln kommen, wer überhaupt gewonnen hatte. Da freuten sich die Chinesinnen über eine »gute Abwehrarbeit«, während die deutsche Rückraumspielerin Friederike Gubernatis haderte: »Unsere Chancenverwertung war wieder eine Katastrophe.«

Um das mal aufzuklären: Deutschland hatte gewonnen. Da China aber zu den Entwicklungsländern und Deutschland zur erweiterten Weltspitze im Handball zählt, waren alle von einem noch höheren Sieg ausgegangen. So waren die Chinesinnen aber glücklich, nicht erneut wie gegen Serbien mehr als 40 Gegentore kassiert zu haben, und die Deutschen ärgerten sich über eine verpasste Chance, endlich mal einen offensiven Rhythmus zu entwickeln. »Wir hätten das Spiel viel deutlicher gestalten können. In der Abwehr standen wir Bombe, aber vor dem Spiel am Freitag müssen wir noch einiges aufarbeiten«, sagte Gubernatis.

An diesem Freitag sind die Niederlande letzter Gruppengegner. Beide Teams sind schon fürs Achtelfinale qualifiziert, wollen dort aber möglichst durch einem Sieg den starken Däninnen und Russinnen aus dem Weg gehen. Dafür müssen zum einen laut Gubernatis, »die vielen Chancen, die wir uns erarbeiten, häufiger im Netz landen«, zum anderen muss der deutsche Angriff aber auch seine Fehlerzahl minimieren. »Dass wir nicht damit zufrieden sind, leichtfertig Bälle wegzuschmeißen, ist doch klar. Das richtige Maß zwischen Risiko und Struktur, zwischen Mut und Übermut müssen wir noch besser finden, um ganz oben mitzuspielen«, befand Kollegin Isabell Klein.

Den Erfolg wollte sich die Mannschaft dann aber doch nicht selbst völlig schlechtreden. »Es spricht für sich, dass wir in der ersten Halbzeit nur drei Tore kassieren. Wir merken immer mehr, wie stark unsere Abwehr sein kann«, lobte die 19-jährige Emily Bölk ihre Kolleginnen in der Deckung. Mit vier Toren in der zweiten Hälfte zeigte sie selbst, wie sich die Mannschaft auch im Angriff noch steigern kann. Es waren die ersten Turniertreffer der deutschen Nachwuchshoffnung in Leipzig. »Ich bin erleichtert, dass der Ball endlich im Tor gelandet ist. Ich nähere mich immer mehr meiner Normalform. Hoffentlich läuft es am Freitag noch mal besser«, sagte Bölk

Trainer Michael Biegler macht sich jedenfalls noch keine Sorgen ob der fehlenden Durchschlagskraft seiner Spielerinnen. Auch er lobte lieber die »überragende Deckungsarbeit« und will Bölk und Xenia Smits noch das Spiel gegen die Niederlande zugestehen, um - nach ihren Verletzungspausen kurz vor WM-Start - wieder in Schuss zu kommen. »Am Sonntag müssen wir dann bereit sein«, sagte Biegler. Dann steht in Magdeburg das Achtelfinale an.

Besondere Aufregung oder gar Hektik ist jedenfalls noch bei niemandem zu spüren. Immerhin ist Deutschland nach drei Siegen und einem unglücklichen Unentschieden gegen Serbien auch Tabellenführer. »Wir brauchen gar nicht so viel mehr. Jede von uns muss nur ein bisschen torgefährlicher werden«, sagte Anna Loerper, Kapitän der deutschen Mannschaft. Sie ist überzeugt davon, dass die Offensivschwäche auch nicht an fehlendem Können liege, sondern eher in einer sonst sehr positiv behafteten Eigenschaft: »Wir sind sehr mannschaftlich orientiert, denken sehr viel an die andere. Vielleicht muss man das eine oder andere Mal ein bisschen mehr an sich selbst denken, mehr Zug zum Tor zeigen und den eigenen Wurf suchen«, forderte Loerper.

Vor den Niederländerinnen warnte die 33-Jährige. Ein leichter Sieg sei auf keinen Fall zu erwarten, auch wenn die Vizeweltmeisterinnen in Leipzig noch nicht an ihre Form von 2015 anknüpfen konnten. »Selbst wenn sie bisher noch nicht überzeugt haben, ist mit den Holländerinnen zu rechnen. Sie schaffen es immer wieder, auf den Punkt da zu sein. Sie haben sehr wurfstarke Spielerinnen und spielen mit sehr viel Tempo nach vorn«, sagte Loerper. »Sie sind eine sehr gefährliche Mannschaft, auf die wir uns freuen.«

Vielleicht gewinnt die deutsche Mannschaft am Freitag also viel knapper als gegen China, wirkt danach aber viel glücklicher. Das wäre jedenfalls ganz im Sinne der erfahrenen Isabell Klein, die seit 2016 in Nantes ihr Geld verdient. »Es ist schon eine deutsche Eigenschaft, sich auf Negatives zu konzentrieren. Wenn etwas schief geht, lobt man in Frankreich den Gegner. Bei uns fragt man: Was war denn mit Euch los?« In der Tat: Über ein 24:9 darf man sich mal freuen.

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