Kollektivistischer Brav-Sprech

Bei allem Spott über Mehmet Scholl findet Christoph Ruf, dass dessen Kritik einen wunden Punkt trifft

Ich mag Mehmet Scholl. Schon als 16-Jähriger, als ich mit dem Fahrrad oder dem Schwiegerpapa zu den Heimspielen des Karlsruher SC fuhr, hatte der damalige Nachwuchsstar des örtlichen Profivereins bei mir einen Stein im Brett. Es war einfach unfassbar, wie gut der Typ schon mit 17 Jahren kicken konnte. Dazu diese Lockerheit, die einem Talent und Veranlagung verleihen - nicht aber Blut, Schweiß und Tränen. Die machte Scholl damals eben auch schon aus. Später tat er das, was in dieser Zeit alle guten Karlsruher Spieler taten (Oliver Kahn, Michael Sternkopf, Oliver Kreuzer, Thorsten Fink, Michael Tarnat, etc.), er wechselte zum FC Bayern München. Das war natürlich eine echte Sauerei. Zwischen Scholl und mir brach eine jahrzehntelange Eiszeit aus.

Seit ein paar Jahren mag ich ihn wieder und wundere mich, dass der Mann medial so schlecht wegkommt. Es war natürlich alles andere als freundlich oder gar kollegial, über den Spieler Mario Gómez zu sagen, er bewege sich so wenig, dass man sich Sorgen machen müsse, ob er sich in der gegnerischen Hälfte »wundliegt«. Aber, hey, es war eine super Formulierung, die sich nicht zum einzigen Mal wohltuend abhob von den ganzen Nullsätzen, die die anderen Ex-Profis mit der Berufsbezeichnung »Experte« so von sich geben. Aber schon damals hat Scholl Prügel bezogen. Erstaunlicherweise auch von vielen Menschen, die ansonsten mit Inbrunst die Belanglosigkeit der Branche und das sinnentleerte Gefloskele beklagen, das deren Soundtrack ist.

Nun steht Scholl wieder im Shitstorm, und wieder sind die Mechanismen ähnlich wie damals bei Gómez. Frappierend wenig Sinn für Kollegialität, starke Pauschalisierung. Aber eine ziemlich gelungene Formulierung, und vor allem: einige Sätze, über die es durchaus mehr zu sagen gäbe als »Who the fuck is Mehmet?«

Der Reihe nach: Natürlich ist es nicht sonderlich sympathisch, bei der Kritik an den jungen Systemtrainern, die Scholl als Studentenmenschen ohne besondere Kennzeichen in den Senkel stellt, mit Stuttgart-Coach Hannes Wolf auch einen ehemaligen Kollegen aus dem Trainerseminar zu benennen - abgesehen davon, dass dieser Wolf nun sicher nicht langweiliger ist als die meisten 60-jährigen Trainer, die mir spontan einfallen. Und natürlich ist es eine logische Welle der Fußball-Konjunktur, dass nach einer Periode, in der der deutsche Fußball ein massives Taktikdefizit hatte, nun das Systemische eher überbetont wird. Aber auch hier lohnt ein genauer Blick auf das, was Scholl gesagt hat: »Die Kinder dürfen sich nicht mehr im Dribbling probieren, sie kriegen nicht mehr die richtigen Hinweise, warum ein Pass nicht gelingt, warum ein Dribbling nicht gelingt, warum ein Zweikampf verloren wurde. Stattdessen können sie 18 Systeme rückwärts laufen und furzen.« Das Individuum spiele zunehmend keine Rolle mehr.

So falsch ist das nicht. Denn natürlich lernen heute schon Fünfjährige, dass sie zwar gerne auch mal einen Gegenspieler ausspielen können, dass sie aber Schimpf, Schande, Pech und Cholera ernten, wenn sie dabei mal hängenbleiben. Gefordert und gefördert wird der Blick fürs Kollektiv, der Flachpass, der den Mitspieler in Szene setzt - und der folgerichtig auch rhetorisches Stilmittel sein muss. Fußballerisch mag das sinnvoll sein, der moderne Fußball hat sich eben dann doch stärker verändert als mancher Altvordere das gerne hätte.

Doch eine solche Erziehung von Kindern hat eben nicht nur fußballerisch Folgen, zumal sie mit der entsprechenden Rhetorik einhergeht. Und die gleicht eben inhaltlich der militärischen. Nur dass in der Fußballmoderne ein weichgespültes Marketingdeutsch gesprochen wird, während in den Boot-Camps der US Army noch echter Redneck-Auswurf zu hören ist. Ich bin nichts, das Kollektiv ist alles - genau das wird oft einer Fußballer-Generation vermittelt, die vielleicht auch genau deswegen mit Posing-Fotos auf Instagram zelebriert, was sie für Individualität hält. Der erhobene Finger eines Stefan Effenberg, die Wortspiele eines Mehmet Scholl, ganz zu schweigen von Eric Cantona, George Best und all den anderen Helden - all das droht auszusterben. Die Branche besteht stattdessen aus Menschen, die ihr Tor mit den Worten kommentieren, dass sie sich freuen, »damit der Mannschaft geholfen zu haben«.

Irgendjemand muss den jungen Spielern diesen kollektivistischen Brav-Sprech beigebracht haben. Mehmet Scholl hätte da einen Verdacht, wer es war.

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