Als ahnte sie Neros Fußtritt
Deutsche Staatsoper II: »Poppaea«
Der Moment absoluter Schönheit: die Instrumente eines reichen Orchesters, eine berückend sich verschlingende Melodie, zur Vollkommenheit verschmolzene Stimmen, schöne Menschen, eine goldleuchtende Bühne - verweile doch. Und dann ist er vorüber, dieser Moment. Welche beiden sind das eigentlich, die da ihre Tonfolgen zur Ewigkeit dehnen möchten, die sich in Leidenschaft verzehren und begehren: Meine Augen sehen nur dich, ich verschlinge dich, oh mein Leben, o mein Schatz. Wieso liegen Tote auf dem goldenen Bühnenboden, warum fasst sich Poppaea an den Leib, als ahnte sie, dass sie an einem Fußtritt Neros in ihren schwangeren Bauch sterben würde? Warum umfasst Nero am Ende nicht Poppaea, sondern seinen schönen Vertrauten, als ob er schon planen würde, ihn zu kastrieren und als »Braut« heimzuführen?
Claudio Monteverdis und Francesco Busenellos Oper weiß nichts von diesem Fortgang der Geschichte Neros und Poppaeas. Beide Künstler allerdings kannten die römische Historie und ihr Publikum auch. Sie schufen für die venezianische Karnevalssaison 1642/43 eine Oper, in der karnevalsgemäß die Ordnung auf dem Kopf steht. Die Unmoral darf siegen, und ihre Streitmacht ist Amor. Aber muss er durch die sexuelle Leidenschaft einer ehrgeizigen Aufsteigerin und eines wahnwitzigen Herrschers gewinnen?
Unbedingt. Staatsoper-Intendant Jürgen Flimm, der am Anfang vor den Vorhang trat, um zu verkünden, dass zwar alle Sänger gesund seien, aber der Kronleuchter nicht ganz ausginge, bezeichnete die »Poppaea« als die schönste Musik, die es gibt. Apropos Kronleuchter. In den Nebengemächern hingen die nackten Glühlampen aus der Decke, die Garderoben sind Notbehelfe, tags zuvor verabschiedete sich zwischenzeitlich die Treppen- und Foyerbeleuchtung … aber es wird dennoch gespielt!
Für ihre römische Liebesintrige setzte die Regisseurin Eva-Maria Höckmayr allein auf das Spiel. Alle Figuren, renaissance-golden feingemacht von Julia Rösler, sind ständig auf der Bühne, sonst nichts. Jeder sieht alles auf dem glatten altgoldenen Boden, den Jens Kilian auch über die Bühnenrückwand gezogen hat. Selbst ein Liebesspiel ist ein Staatsakt, und Höckmayr gelingt Bühnenerotik, die nicht peinlich ist. Anna Prohaska ist die beste aller Poppaeas, weil sie, man höre welche Aufnahme man will, nach Belieben einen satten Hauch von Gosse in ihren allersüßesten Stimmschmelz legen kann - man begreift, was die Kerle an ihr finden. Sie kann sich mit Haut und Haar verschenken und dabei noch immer einen Rest von Intrigenkälte behalten. Sie spielt und singt es auch. Max Emanuel Cenčić als Nerone ist stimmlich auf demselben höchsten Niveau, ein Sopranist mit zupackendem Sound. Zart gebaut und trotzdem ein agiler Kerl, ist er Poppaea allein seiner Stellung wegen einen fingerbreit voraus. Das Gegenbild ist die treue Drusilla, Evelin Novak mit einer wahren Engelsstimme. Katharina Kammerloher als Neros verstoßene Gattin Ottavia singt mit »Addio Roma« eine der ergreifendsten Arien des Stücks. 17 Solisten sind besetzt, 17 Mal ein Besäufnis für die Ohren, und ein Verwirrspiel. Markige Kerle haben hohe Stimmen, Frauen werden von Männern gesungen, die Frauenstimmen haben oder auch nicht.
Zwei Violin- und eine Bassstimme, mehr Musik ist für das Werk nicht überliefert. Aber mit welchem instrumentalen Reichtum musizierte die Berliner Akademie für Alte Musik - Bläser, Streicher, zwei Cembali, Harfe, Theorbe, Regal, Schlagwerk. Der Dirigent Diego Fasolis konnte sich an seiner Fassung wohl selbst gar nicht satthören. Die drei Stunden Musik des Abends sind durchaus nicht alle von Monteverdi, lang ist die Liste der Komponisten, welche der Produktion zulieferten. Keinen Puristen hat’s gestört. Wie am Abend zuvor große Begeisterung.
Eine Kinderoper, eine Barockoper; ein Blick in die Geschichte und ins Märchenland. Schönheit und der Fantasie bei dieser nun wirklichen Eröffnung der Berliner Staatsoper. Man betritt Unter den Linden eine glückliche Insel.
Nächste Vorstellung: 13. Dezember, dann erst wieder im Juli 2018
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