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Das Ende vom Anfang

Deutsche Handballerinnen scheitern im WM-Achtelfinale an Dänemark. Der Verband will sie aber weiter fördern

Michael Bieglers Sonntagabend war ein gebrauchter. 20 Monate lang hatte er die Handball-Nationalmannschaft der Frauen auf ihre Heim-WM vorbereitet. Doch im Achtelfinale, als es endlich um etwas ging, versagten seine Spielerinnen reihenweise. »Irgendwann überlegst du, ob du rausgehst«, sagte Biegler später. Der Satz bedeutet in der Handballsprache, dass man die Deckung aggressiver, offensiver, aber auch riskanter aufstellt, um den Ball schnell zu erobern und so doch noch einen großen Rückstand in kurzer Zeit aufholen zu können. Doch wer Biegler in dem Duell mit Dänemark beobachtet hatte, hätte sich auch nicht gewundert, wenn er selbst einfach aus der Magdeburger Halle marschiert wäre. Immer wieder hob er hilflos die Arme, ließ sich auf seinen Stuhl fallen und vergrub das Gesicht in seinen Händen. Welchen Spielzug er auch ansagte, wie gut der auch funktionierte: Ihre freien Würfe trafen die deutschen Handballerinnen doch nicht. So endete der Traum von einer WM-Medaille viel zu früh.

17:21 hieß es zum Schluss, als die Tränen zu fließen begannen: bei jungen Spielerinnen wie Emily Bölk und so erfahrenen wie Svenja Huber. Diese WM war eine Ernüchterung. Sie zeigte, dass die Auswahl des Deutschen Handball-Bundes (DHB) noch weit entfernt ist von der Weltspitze. Die Defensive hatte mit Ausnahme der Vorrundenpartie gegen die Niederlande immer funktioniert, der Angriff dagegen fast nie. Biegler hatte gesagt, dass die Tore erst ab dem Achtelfinale fallen müssten. Nun, da auch das nicht gelungen war, blieb nur eine gute WM-Partie übrig, der Vorrundensieg gegen Südkorea: So gewinnt man keine Medaille.

Dennoch war auffällig, wie sehr der Trainer seine Schützlinge für ihre Arbeit lobte - und umgekehrt. »Die Enttäuschung ist nicht in Worte zu fassen. Das war im Angriff einfach zu wenig. Aber ich lasse nichts auf die Mädels kommen. Es ist eine riesige Bereitschaft da, sich weiterzuentwickeln«, sagte Biegler. »Ich habe noch nie einen Bundestrainer erlebt, der so akribisch gearbeitet und sich 24 Stunden am Tag in das Projekt reingehauen hat. Er ist einer der besten Trainer, mit denen ich je gearbeitet habe und ein noch tollerer Mensch«, parierte Kapitän Anna Loerper.

Der Hochgelobte wird nun zum Männer-Bundesligisten DHfK Leipzig wechseln. Er sei ein Männertrainer, hatte Biegler stets betont, nur für dieses eine Projekt habe er sich mal überreden lassen. Dass ihm der Abschied von den Frauen nun schwerer fallen würde als geplant, hatte aber bereits eine Bemerkung kurz vor der WM gezeigt. Demnach hätte er noch ein halbes Jahr weitergemacht, um die Qualifikation für die EM 2018 abzuschließen. »Aber der DHB hat die Notwendigkeit nicht gesehen«, so Biegler. Der Verband will jetzt offensichtlich dem Neuen, Henk Groener, vor dem nächsten Turnier ein bisschen mehr Zeit zum Umsetzen seiner eigenen Ideen geben.

Dabei wird der Niederländer auf vieles zurückgreifen können, was Biegler und sein Sportdirektor Wolfgang Sommerfeld angestoßen haben. Denn beide machten viel mehr, als nur eine Auswahlmannschaft zu trainieren. Sie änderten Strukturen. Die Zusammenarbeit mit den Bundesligatrainern wurde intensiviert, dazu die Nachwuchssichtung. »Wir haben uns viele Spielerinnen angeguckt. Da gibt es Riesentalente für die Zukunft. Es ist ein lohnenswertes Projekt«, sagte Biegler nach dem WM-Aus.

Dass diese Dinge überhaupt angegangen werden mussten - noch dazu von einem Trainer -, war beschämend für den DHB. 1993 waren die deutschen Frauen Weltmeisterinnen geworden, 1997 gab es noch einmal Bronze. Danach ging es immer weiter bergab, aber erst jetzt hat der Verband erkannt, dass es nicht reicht, immer nur das Aushängeschild Männer-Nationalmannschaft zu fördern und zu hoffen, dass von den Frauen schon irgendetwas kommen wird.

»Es ist jetzt ganz wichtig, dass wir an dem festhalten, was Michael Biegler aufgebaut hat. Wir sind raus, und das ist eine Katastrophe, aber ich glaube an die Qualität dieser Mannschaft«, sagte die starke Torhüterin Clara Woltering. »Andere Nationen sind professioneller. Wir müssen in Deutschland endlich nachlegen. In der Ausbildung müssen wir anfangen, und jeder Verein muss mitziehen.«

DHB-Präsident Andreas Michelmann scheint der Forderung folgen zu wollen. »Wir werden den neuen Trainer unterstützen, sowohl was die Strukturen angeht als auch das Finanzielle.« Selbstverständlich ist das nicht. Immerhin hatte Verbandsvize Bob Hanning bei der Vorstellung von Biegler im April 2016 noch ungestraft drohen dürfen: »Das ist die letzte Chance für den Frauenhandball in Deutschland.«

Erschwerend ist, dass die Frauen durch das Verpassen des Viertelfinals erst einmal den hohen Förderstatus beim Geldgeber Bundesinnenministerium verlieren. »Der Frauenhandball wird bei uns einen höheren Stellenwert als in der Vergangenheit einnehmen«, versprach Michelmann trotzig. Also doch kein Ende, nur das Ende vom Anfang. »Das Entscheidende ist nicht, von wem wir die Mittel bekommen. Wir setzen unsere Prioritäten weiter in dem Bereich. Wir müssen aus diesem Machokram endlich rauskommen. Das war das Grundübel der letzten 15 Jahre. Wir reden immer von Gleichberechtigung, aber im Grunde war der Frauenhandball etwas Exotisches für uns.«

Die WM sollte einen Schub geben. Kleine Mädchen sollten den Erfolgen neuer Vorbilder nacheifern. Das fällt mit dem Verpassen des Finalturniers in Hamburg vermutlich aus. »Die ganz große Bühne erreichen wir jetzt nicht. Das ist sehr enttäuschend«, sagte Loerper.

Ob der beabsichtigte Effekt jedoch überhaupt eingetreten wäre, ist ohnehin unklar. Er entspricht einer gängigen Logik von Sportfunktionären, die in der Realität nur selten eintritt. Sonst wäre dies längst ein Land voller Rennkanuten, und der Deutsche Skiverband hätte nach den Erfolgen á la Angerer, Teichmann und Filbrich keine solchen Nachwuchsprobleme im Langlauf.

Die strukturellen Änderungen im Verband und das Zusammenschweißen einer zuvor oft zerstrittenen Nationalmannschaft durch Biegler werden also die nachhaltigsten Entwicklungen des Projektes bleiben, auch wenn einige Leistungsträgerinnen jetzt ihre Nationalmannschaftslaufbahn beenden werden. Woltering und Rückraumspielerin Nadja Mansson machten am Sonntag den Anfang. Rechtsaußen Svenja Huber hatte schon einmal aufgehört und war für die Heim-WM noch mal zurückgekehrt. Hinter ihr klafft eine Riesenlücke auf der Position. Hubers Tränen vom Sonntagabend zeigten aber, dass es schwer wird, sie noch einmal zum Weitermachen zu motivieren.

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