- Politik
- Paragraf 219a
Informieren verboten
Die verurteilte Ärztin Kristina Hänel will gegen den Paragrafen 219a vorgehen
Seit sich die Ärztin Kristina Hänel mit ihrem Fall an die Öffentlichkeit wandte, ist in Deutschland eine neue Debatte über den Paragrafen 219a entbrannt. Dieser stammt ursprünglich aus der Zeit des Nationalsozialismus und wurde 1933 verabschiedet, um jüdische Ärzte zu kriminalisieren. Der Paragraf stellt unter Strafe, für Schwangerschaftsabbrüche zu werben oder diese anzubieten. Dies steht in Widerspruch zum Paragrafen 218, der es Frauen und Ärzten möglich macht, unter bestimmten Bedingungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche straffrei Abbrüche durchzuführen.
Der rot-rot-grüne Senat Berlins hat am Dienstag eine Bundesratsinitiative beschlossen, mit der das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche wegfallen soll. Der Paragraf 219a widerspreche dem Recht auf Informationsfreiheit und Selbstbestimmung, sagte Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD). Im Vorfeld hatten auch Hamburg, Bremen, Thüringen und Brandenburg bekannt gegeben, eine solche Initiative zu unterstützen. Am Dienstag übergab Hänel 150 000 Unterschriften an den Bundestag, die eine Abschaffung des Paragrafen 219a fordern.
In anderen EU-Ländern werden Schwangerschaftsabbrüche sehr viel liberaler hangehabt als in Deutschland. In Frankreich gibt es eine gute staatliche Internetseite, die Frauen zum Thema Abtreibung informiert und auch auflistet, wo man Abbrüche durchführen lassen kann.
Allerdings gibt es auch Länder in der EU, in welchen Frauen nicht selbst über einen Abbruch entscheiden können. Hierzu gehört beispielsweise Polen, wo die Gesetze im letzten Jahr noch verschäft werden sollten. Eine konservative Initiative hatte ein absolutes Verbot von Abtreibungen angestrebt. Nach massiven Protesten wurde die Unterstützung des Vorhabens von der Regierung zurückgezogen, eine Neuauflage des Versuchs wäre aber möglich. Die bisher geltenden Gesetze in Polen sind derweil schon sehr restriktiv. Frauen können demnach nur nach einer Vergewaltigung, wenn ihr eigenes Leben in Gefahr oder wenn der Embryo behindert ist, einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen. Die Entscheidung darüber liegt jedoch beim Arzt. »Viele Frauen kommen deshalb aus Polen nach Deutschland, um hier einen Abbruch zu machen«, so Kersten Artus, Vorsitzende von pro familia Hamburg.
Viele Ärztinnen und Ärzte unterstützen das Vorhaben von Kristina Hänel, den Paragrafen 219a abzuschaffen, weil er ihrer Ansicht nach die Berufsfreiheit einschränkt. Hänel erklärte: »Ich bin keine Politikerin, ich bin Ärztin«. Sie müsse ihre Patientinnen aber darüber informieren, welche Leistungen sie anbiete. In Gießen sei sie die einzige Ärztin, die Schwangerschaftsabbrüche durchführe, selbst die Uniklinik biete Abbrüche nur nach der pränatalen Diagnostik und dem Befund einer möglichen Behinderung des Embryos an.
»Die Zahl der Anzeigen gegen Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, steigt«, sagte Artus und wies auf die weite Auslegung des Paragrafen 219a hin. Hänel sagte, man könne für eine Abtreibung gar nicht werben, weil »Frauen das aus ihrem Innersten selbst entscheiden«. Die Ärztin kritisierte außerdem die Internetseite Babykaust, die von Abtreibungsgegnern betrieben wird, da sie die Frauen völlig falsch informiere. In diesem Kontext wies Hänel auch darauf hin, dass die Presse oftmals falsche Bilder verwende, wenn über das Thema Schwangerschaftsabbrüche berichtet würde. Sie zeigte daher ein Foto eines in der siebten Schwangerschaftswoche abgetriebenen Fötus und bat Pressevertreter, solche Bilder zu verwenden, da die meisten Frauen in etwa um die siebte Schwangerschaftswoche abtreiben.
Aus der aktuellen Debatte um den Paragrafen zog Artus aber auch positive Schlüsse. »Die Generationen von Frauenbewegungen verbinden sich gerade«, so die Vorsitzende von pro familia. Dies ist auch wichtig vor dem Hintergrund, dass es immer weniger Ärzte gibt, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, wie Stefan Nachtwey vom Berliner Familienplanungszentrum Balance erklärte. Nachtwey führte diese Tendenz auf die öffentliche Diffamierung von Ärzten zurück, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.